Die Kunst des guten Beendens
nicht mit ihrem übrigen Leben verbunden waren. Es war ihre Art, Distanz zu schaffen. Eine ähnliche Distanz erlebte sie zu ihrem Ehemann, sie wurde sich aber zunehmend bewusst, dass sie eigentlich mehr von ihm wollte – vorläufig noch, ohne es ihm sagen zu können. Vielmehr ärgerte sie sich über ihn, gelegentlich auch über den Therapeuten. Die Angst vor Nähe war noch groß.
Der Therapeut schlug Selma vor, ihrem Mann anzuvertrauen, dass sie ein großes Bedürfnis nach Verbundenheit mit ihm habe und einen sicheren Platz bei ihm finden möchte. Es war neu für Selma, sich eigene emotionale Bedürfnisse nachVerbindung zuzugestehen. Und sie hatte Schwierigkeiten damit, diese Bedürfnisse auszudrücken und trotzdem gleichzeitig bei sich selbst zu bleiben. Es folgten Balanceakte mit ihrem Ehemann: damit, sich ihm zu öffnen und gleichzeitig ihre Autonomie zu bewahren. Es gelang mehr und mehr, und zwar von beiden Seiten her. Selma schaffte es, nicht mehr so stark die klare Trennung zwischen sich und ihrem Ehemann zu betonen, sondern verschiedene und sich wechselseitig bereichernde Formen von Bezogenheit zu integrieren, gewissermaßen spielen zu lernen, wie viel Bindung und wie viel Trennung sie brauchte, um sich noch selbst zu spüren (Intersubjektivität).
Offenbar hatte Selma durch den Verlust ihrer Mutter und durch die nur teilweise emotionale Verfügbarkeit ihres Vaters ihre ›inneren Eltern‹ in einer Weise in sich errichtet, die sie von einer Anhänglichkeit in neuen Beziehungen (zum Ehemann, zum Therapeuten) abhielt. Das äußerte sich in ihrer Niedergeschlagenheit und ihren Weinanfällen – und in ihrer Beziehung zu ihrem Sohn als Teil ihrer selbst. Zu Selmas Sohn: Es ist erwiesen, dass ein ängstliches, anklammerndes und besitzendbeherrschendes Verhalten der Eltern bei einem Kind zu Angst vor Trennung und zu Angst vor Autonomie führt. In dem Maß, wie Selma beziehungs- und trennungsfähiger werden wird, wird wahrscheinlich auch ihr Sohn seine Ängste abbauen können.
Durch die therapeutische Bearbeitung (in zwei Therapieabschnitten, die fünfzehn Jahre auseinanderliegen) wurde es Selma zunehmend möglich, spielerischer mit ihren Beziehungswünschen und ihrer Angst vor Verlust und Trennung umzugehen. Sie war beziehungsfähiger geworden. Sie konnte ihre Wünsche nach Bindung spüren und ausdrücken und sich gleichzeitig ihre Unabhängigkeit bewahren, ohne die Angst zu empfinden, alles zu verlieren (Intersubjektivität). Nun konnte die Therapie einvernehmlich beendet werden.
Dies ist eine positive Entwicklung für Klientin und Therapeut. Es hätte auch anders laufen und weniger möglich sein können.
Die Königin von Saba und der Froschkönig
Sagen und Märchen spiegeln Grundkonflikte der Menschen. Dazu gehören Bindungen und Beziehungen, die eingegangen und die aufgelöst werden. Ein Kind kann am Beispiel von Märchen eigene Ängste bannen und Freuden intensivieren – auch bei Erwachsenen ist das möglich, wenn sie den kindlichen Kern bewahren.
Die beiden Paare, die Königin von Saba und König Salomo wie auch der Froschkönig und die Prinzessin, lassen das Thema des Beendens in einem neuen Licht erscheinen.
Beginnen wir mit der Königin von Saba . 24 Interessant ist, dass sie ihren Ruhm und Namen den vielfältigen Phantasien verdankt, die sie seit dreitausend Jahren bei vielen Künstlern erweckt. Was Herkunft und Namen, Religion, Kultur, ethnische Zugehörigkeit und Sprache angeht, verwandelt sie sich in immer neue Gestalten. Ob schwarz oder weiß, von Jemen oder Äthiopien kommend, jüdischer oder muslimischer Religion: im Kernpunkt aller Phantasien steht ihre Begegnung mit König Salomo in Jerusalem und das, was sich dort zugetragen haben könnte. Die Unbestimmtheit bzw. Vielfältigkeit dieser Begegnung öffnet vor allem sexuell-erotischen Spekulationen Tür und Tor. Und es gibt offenbar einen Sohn, Menelik, der neun Monate nach dieser Begegnung zur Welt gekommen sein soll.
Eine Frau, die sich vor drei Jahrtausenden genommen hat, was sie wollte, und die alles erhielt, was sie sich wünschte – das weckt tatsächlich bis heute mannigfaltige Phantasien, die sich in Fachbüchern, Literatur, Kunst und Film abbilden. Das Bild der Königin bleibt bis zum heutigen Tag unauflösbar, mehrdeutig; und es wechselt zwischen Verklärung und Verteufelung und ist insofern ein Spiegelbild dessen, was an Ängsten und Hoffnungen die Geschichte der Frauen und auch der Männer seit jeher bestimmte.
Archetypisch
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