Die Kunst des guten Beendens
darinhinein vertiefen. Es ist nie ein »Ein für alle Male«, sondern ein »Immer wieder neu«, und es ist vielleicht lange nicht genug.
Wenn sich die Trauer durch Liebe, Mitgefühl und Versöhnung auflösen darf, kann sie leicht werden. Es sind vorwiegend die unversöhnten Trauergefühle des verletzten Kindes, die die Trauer schwer machen. Wir tun gut daran, immer wieder im Alltag unsere Liebe, unser Mitgefühl und den Mut zur Versöhnung unseren Mitmenschen zu schenken. Wenn wir den Mitmenschen, die uns im Leben, im Alltag nahe sind, mit guten und gereinigten Gefühlen begegnen, dann wird unsere Trauer – wenn wir sie verlieren – leicht sein, nämlich frei von Schuld, von Angst, von Versagen. Dann sind wir erfüllt von Dankbarkeit, von Großzügigkeit, von Liebe und wir tragen den betrauerten Menschen in unserem Herzen. Wir können jederzeit und immer um Hilfe, Kraft und Gnade bitten, um unser Leben, das erfüllt sein möge vom kostbarsten und tiefstmöglichen Sinn.
Iris, 51, erzählt davon, wie schwer die letzten zwei Jahre für sie gewesen waren. Ihr Vater starb nach kurzer, heftiger Krankheit. »Ich war danach schwerkrank und hatte dieselben Symptome wie er vor seinem Tod: eine linksseitige Lähmung. Und ein Gedanke, der mir dabei immer im Fieberdelirium kam, war, dass ich dem Vater versprochen sei und ihm ins Grab nachfolgen müsse.« Iris hatte damals noch keine Sprache für die Traurigkeit. Diese äußerte sich in der Krankheit.
Aus ihrem Freundeskreis starben vier Freundinnen weg, alle an Krebs, alle nach Monaten schweren Leidens. Dann musste Iris umziehen, weil der Hauseigentümer ihre Wohnung, die sie sehr liebte, für sich brauchte. Und damit verlor sie auch ihre besten Freunde und Nachbarn, ein Paar in ihrem Alter, aus ihrer Sichtweite. Das waren alles herbe Verluste für Iris, die sich im Laufe von zwei Jahren häuften.
Iris fühlte sich mutlos, traurig, schwer. Sie haderte mit den Verlusten. Sie fing an, mit den verstorbenen Menschen zu reden. Sie wollte ihnen alles das sagen, was sie zu derenLebzeiten noch nicht gesagt hatte. Und dann hat sie sie, einen nach dem anderen, in ihr Herz genommen und sie als die Verstorbenen weggehen lassen. Sie trug nun in der Erinnerung deren Substanz in sich. Nicht nur im Guten, sondern auch im unguten Sinn. Gelegentlich denkt sie, die noch voll im Leben steht, dass ihr Vater und ihre Freunde es geschafft haben, nämlich ihr Leben zu leben und dieses irdische Leben hinter sich zu lassen. Und wenn die Trauer schwer werden will, dann achtet sie darauf, großzügig und wohlwollend mit ihren Mitmenschen umzugehen und jeden Menschen, den sie liebt, dies spüren zu lassen.
Chrigu, ein junger Schweizer Filmemacher, war daran, mit seinem besten Freund und Kollegen einen Film zu drehen. Und dann erhielt Chrigu die tödliche Diagnose. Er bat seinen Freund, den geplanten Film über ihrer beider Leben weiterzudrehen, und irgendwann einmal würde er aussteigen. Im Film erleben wir Chrigu im Spital, wieder draußen, unter Freunden, mit kahlem Kopf, dann der Rückfall. Chrigu nimmt sein Todesurteil an. In der Schlussszene sehen wir Chrigus Familie und Freunde an einem Fluss, der Richtung Osten fließt. Chrigu hat sich das gewünscht. Und jede und jeder nimmt eine Handvoll Asche aus der Urne und wirft sie mit einem persönlichen, stillen Abschiedsgruß – quasi einem Händegruß, sagt seine Mutter – in den Fluss. Und im Abspann des Filmes wird Chrigu zitiert, der sich einen lebendigen und fröhlichen Film gewünscht hat. Es ist Zeit zu leben und Zeit zu sterben. 40
Ein Leben mit Flügeln
Im Gedenken an eine verstorbene Freundin und Künstlerin, die nach einem Autounfall lange Jahre gelähmt im Rollstuhl verbracht hat:
Es hat eine Frau gelebt auf dieser Erde,
Die jeden einzelnen Tag mit Phantasieflügeln verzierte,
Sodass es glitzerte und funkelte,
weinte und lachte.
Selbst wenn das Leben tonnenschwer daherkam,
Drehten sich die Schicksals-Omeletten im freien Fall
ganz fröhlich und unbekümmert.
Schweres wurde leicht,
Traurigkeit und Schmerz hatten Flügel,
wurden leicht
in Liebe und Mitgefühl.
Flügel, Hexenbesen, Omeletten im freien Fall,
Immer wieder die Erdenschwere überwinden,
Im Schweren leicht und luftig sein,
Das hat sie mich gelehrt.
Ihre Botschaft tanzt in jedem grünen Blatt im Wind,
Lacht mir zu in der Zärtlichkeit und Kraft der Erde,
Im Nehmen und Geben des Wassers,
Das stärker ist als jeder Stein.
Bärenkraft und Zärtlichkeit im Nehmen und
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