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Die Kunst des guten Beendens

Titel: Die Kunst des guten Beendens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Ley
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betont, an diesem »Vorwurf«. Anna hat ihre Frage auch nie zurückgenommen, denn es war damals ihr ehrliches Empfinden und sie hatte lediglich eine Frage stellen wollte. Sie hatte nicht antizipiert, dass Adrian so heftig reagieren könnte.
    Als Anna einige Jahre danach Adrian nach seiner politischen Einstellung zu einer bestimmten Situation befragte, die gar nichts mit Australien, sondern mit Deutschland zu tun hatte, explodierte Adrian wieder heftig, wie damals. Das Gespräch eskalierte zu einem heftigen Streit. Beide waren verletzt, gekränkt, und beide erlebten sich als Verlierer.
    Diese Abfolge von Eskalation, Entfremdung und später dann langsam wieder Versöhnung erlebte das Paar immer wieder. Beide fühlten sich jeweils unverstanden. Anna war gewohnt, (unbedachte?) Fragen zu stellen, und so erneuerte sich der Streit immer wieder, mit den unterschiedlichsten Themen.
    Damit kommen sie in eine gemeinsame Therapie. Sie haben beide Angst, dass sie einmal den Weg zueinander nicht mehr finden werden. Sie möchten beide aus diesen Wiederholungen aussteigen, sie beenden. Wie sollen sie vorgehen? Wüssten sie die Lösung, hätten sie diese längst ergriffen.
    Adrian bittet Anna, sein großes Bemühen um Verständnis der kolonialistischen Situation und ihrer Folgen zu würdigen, und auch anzuerkennen, dass ihn ihre Bemerkung, sie wisse nicht,wo er stehe, verletzt habe. Anna tut sich schwer damit. Es kommt ihr wie ein Nachgeben vor. Auch sie bemüht sich um Verständnis. Sie hat in Australien häufig unter Schuldgefühlen gelitten, wenn es um die Aborigines ging. Schuldgefühle aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer besseren materiellen Situation, ihrer Mobilität. Und Scham ob der Machtausübung eines Teils der weißen Bevölkerung. Sie ist auch eine Weiße. Es ist ihre Last. Es ist ihr persönliches Erleben, das Adrian ihr gegenüber diese Last nie mitgetragen hat. Das ist Annas Verletzung. Sie wünscht sich von Adrian, dass er diese Verletzung anerkenne. Beide wünschen sich voneinander Verständnis und Anerkennung.
    Jemand muss einen Schritt tun. Anna entscheidet sich dafür, Adrians Wunsch nachzukommen und sein Bemühen um Verständnis anzuerkennen. Es ist eine versöhnliche Geste. Sie will großzügig sein. Sie würdigt in der Anerkennung von Adrians Bemühen auch ganz bewusst ihr eigenes Anliegen, ihr eigenes Bemühen um Verständnis. So kann sie über ihren Schatten springen. Es tut ihr gut. Und es tut auch Adrian gut. Trotzdem kommt er noch nicht von seinen Verletzungen los und spürt immer noch seine Empörung darüber, dass seine Partnerin manchmal nicht weiß, wo er steht. Er hat immer noch Angst vor dem nächsten Streit mit Anna.
    Die nächsten Therapiesitzungen besucht Adrian nach Vereinbarung allein. Er muss seinen Platz in seinem Leben und in den Diskussionen mit Anna klären; fühlen, wo er steht, auch wenn seine Partnerin das nicht zu wissen glaubt und ihn immer wieder danach fragt. Er hat zu erfahren, dass ihm kein Mensch auf dieser Welt seinen Platz absprechen und vorenthalten kann. Damit er das erfahren kann, muss er sich selbst seinen Platz klarmachen. Das erfordert eine Auseinandersetzung mit seinen frühen Bezugspersonen, mit seinen Eltern und Geschwistern, seinen Lehr- und Autoritätspersonen.
    Anna ist bereit, nach einigen Sitzungen wieder dabei zu sein. Beide haben ein vitales Interesse, miteinander weiterzuleben, weiterhin zu diskutieren, ohne dass sich stets Abgründe und Minenfelder eröffnen.
    Beenden bedeutet in bestimmten Situationen, ein Interaktionsmuster zu beenden, das sich auf eine Beziehung zerstörerisch auswirkt. Beenden, um weitergehen zu können. Beenden, damit das endgültige Ende abgewendet werden kann. Das ist unter bestimmten Voraussetzungen in versöhnlicher Weise möglich. Meine Erfahrung zeigt mir, dass das häufig der Fall sein kann.
    Ein anderes Beispiel. Die fast 50-jährige Anja ersucht um Therapie. Sie beginnt die erste Stunde mit dem Satz: »Es geht um mich und meine Mutter«. Der Satz steht wie ein erratischer Block im Raum.
    Anja ist mit siebzehn Jahren von zu Hause weg und in eine entfernte Stadt gezogen. Dort lebt sie seither ihr eigenes Leben, ist berufstätig, war ein paar Jahre verheiratet, lebt zurückgezogen, liebt ihre Ruhe und bezeichnet sich als ziemlich zufrieden und glücklich. Wenn da nicht die Mutter wäre. Anja fühlt sich seit Jahrzehnten genötigt, den Kontakt zu den Eltern zu wahren. Seit geraumer Zeit hat sie zu rigorosen Abschottungsmaßnahmen

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