Die Kunst des guten Beendens
hinsichtlich Finanzen, beruflichen Sachen oder anderen Dinge. Solche Sorgen werden zwar als existentiell erlebt, befinden sich aber an der Oberfläche des psychischen Erlebens.
»Ein Licht tanzt freundlich vor mir her
Ich folg ihm nach die Kreuz und Quer
Ich folg ihm gern und seh’s ihm an
Dass es verlockt den Wandersmann.
Ach! Wer wie ich so elend ist
Gibt gern sich hin der bunten List
Die hinter Eis und Nacht und Graus
Ihm weist ein helles warmes Haus
Und eine liebe Seele drin. –
Nur Täuschung ist für mich Gewinn.« 37
Im therapeutischen Prozess spielen die versteckte und die verleugnete Trauer eine große Rolle. Trauern können bedeutet, sich dem Verlust zu stellen. Sich der Tatsache bewusst zu werden, dass alles im Leben unbeständig und vergänglich ist. Trauern heißt lieben im Bewusstsein des Flüchtigen.
»Wie hat der Sturm zerrissen des Himmels graues Kleid!
Die Wolkenfetzen flattern umher in mattem Streit, umher in mattem Streit.
Und rote Feuerflammen zieh’n zwischen ihnen hin.
Das nenne ich einen Morgen so recht nach meinem Sinn.
Mein Herz sieht an den Himmel gemalt sein eigenes Bild
– Es ist nichts als der Winter, der Winter kalt und wild.« 38
Auch der Winter will in seiner Kälte wahrgenommen werden. Das ist die Wirklichkeit. Und irgendwann danach wird es wieder Frühling werden.
Trauer kann leicht werden
Der Titel wirkt paradox. Trauer ist doch per se schwer und schmerzvoll, ein langer, entbehrungsreicher Weg. Kann Trauer leicht werden?
»Um dauerhaftes Glück zu erlangen, müssen wir die Natur des Leids kennen« (Dalai Lama).
»Trauer kann zum Garten des Mitgefühls werden« (Rumi).
Wenn wir unser Herz allen Erfahrungen gegenüber offenhalten, Trauer und Freude, Schmerz und Glück, ohne sie zu werten und gewichten, dann werden sich die Gefühle verändern. Wenn wir wissen, dass wir uns vor Leiden, vor Trauer nicht schützen können, gibt es nur eines: sich mit der Trauer, mit dem Leiden zu verbünden.
Westen und Osten, der leidende Jesus am Kreuz und der meditierende Buddha: dies sind zwei unterschiedliche Kulturen, die auch mit dem Thema der Trauer unterschiedlich umgehen. Lesen wir in Das tibetische Buch vom Leben und vom Sterben , so beginnen wir zu erahnen, welche Wunder des Lebens sich in der Tiefe der Trauer verbergen können. 39 Sogyal Rinpoche lädt dazu ein, sich in Momenten, wo einen die Trauer zu überwältigen droht, in die Natur zu begeben und dort trösten zu lassen; sich an einen Wasserfall zu setzen und zusammen mit dem herabströmenden Wasser Tränen undSchmerz aus sich herausfließen und sich vom Wasser reinigen zu lassen. Und er schreibt mit der größten Selbstverständlichkeit: »Es ist ohne Zweifel möglich, Trauer zu akzeptieren und zu beenden.«
Und er nimmt die trauernde Leserin und den trauernden Leser an die Hand und empfiehlt beispielsweise die folgende Visualisierung oder Imagination:
»Visualisieren Sie alle Buddhas und erleuchteten Wesen im Raum um sich herum, stellen Sie sich vor, wie sie ihr Mitgefühl in Form von Lichtstrahlen aussenden und Ihnen ihre Unterstützung und ihren Segen geben. Sagen Sie Ihrem geliebten Verstorbenen (kann nach Bedarf variiert werden) alles, was Sie sagen müssen, alles, was Ihnen auf dem Herz liegt.
Stellen Sie sich bildlich vor, dass der verstorbene Angehörige Sie mit mehr Verständnis und Liebe anschaut, als er je im Leben gezeigt hat. Seien Sie gewiss, dass er Ihnen seine Liebe zeigen möchte und Ihnen vergibt, was immer Sie auch getan haben, und dass er gleichermaßen auch um Ihre Vergebung bittet.
Lassen Sie Ihr Herz sich öffnen, bringen Sie allen Zorn, jede Verletztheit, die Sie vielleicht noch in sich tragen, zur Sprache, und lassen Sie sie damit endgültig los. Vergeben Sie dem Verstorbenen dann von ganzem Herzen. Sprechen Sie Ihre Vergebung aus und sagen Sie, dass Sie allen Schmerz, den Sie verursacht haben, aufrichtig bereuen. Spüren Sie jetzt mit jeder Faser Ihres Seins, wie der Verstorbene Ihnen vergibt und Ihnen seine ganze Liebe schenkt. Fühlen Sie die tiefe Gewissheit, dass Sie liebenswert sind und Vergebung verdienen, und spüren Sie, wie Ihre Trauer sich auflöst.
Fragen Sie sich zum Abschluss, ob Sie jetzt wirklich Abschied nehmen und den Menschen loslassen. Stellen Sie sich vor, dass die Person sich umwendet und geht. Schließen Sie mit einer Übung zur Hilfe für Verstorbene ab.«
Es ist auch hier wie mit allen Imaginationen: Man muss sie immer wieder versuchen, immer wieder machen, sich
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