Die Kunst des klugen Handelns: 52 Irrwege, die Sie besser anderen überlassen (German Edition)
nennt man Introspection Illusion (manchmal mit Wahlblindheit oder Selbstbeobachtungsillusion übersetzt). Sie ist mehr als eine Spitzfindigkeit. Weil wir von unseren Überzeugungen so sehr überzeugt sind, erleben wir drei Reaktionen, wenn jemand unsere Sicht der Dinge nicht teilt. Reaktion 1 – die »Ignoranz-Annahme«: Dem anderen fehlt schlicht und einfach die nötige Information. Wäre er im Bilde, stünde er auf unserer Seite. Er braucht nur etwas Aufklärung. Politische Aktivisten denken so – sie glauben, man könne die anderen durch Unterricht überzeugen.
Reaktion 2 – die »Idiotie-Annahme«: Der andere besitzt wohl die nötigen Informationen, aber sein Hirn ist unterentwickelt, darum kann er keine richtigen Schlüsse ziehen. Er ist einfach ein Depp. Diese Reaktion ist besonders beliebt bei Bürokraten, die die »dummen« Konsumenten vor sich selbst schützen wollen.
Reaktion 3 – die »Bosheits-Annahme«: Der andere besitzt wohl die nötigen Informationen, er versteht sie sogar, aber er geht absichtlich auf Konfrontation. Er hat böse Absichten. So behandeln viele Religionsanhänger ungläubige Menschen: Die müssen des Teufels sein!
Fazit: Nichts ist überzeugender als die eigenen Überzeugungen. Wenn Sie um jeden Preis daran festhalten, ist das nur natürlich – aber auch gefährlich. Introspektion, der Blick nach innen, ist zum großen Teil Fabrikation. Vertrauen Sie sich selbst zu sehr und zu lange, kann das Erwachen umso brutaler sein. Seien Sie deshalb umso kritischer mit sich, je stärker Sie von etwas überzeugt sind. Als kluger Mensch brauchen Sie kein Dogma. Seien Sie Ihr eigener Ketzer!
WARUM SIE IHRE SCHIFFE VERBRENNEN SOLLTEN
Die Unfähigkeit, Türen zu schließen
Neben meinem Bett stapeln sich zwei Dutzend Bücher – alle angelesen. Von keinem mag ich mich trennen, keines endgültig schließen. Ich schmökere ein bisschen hier, ein bisschen da. Doch zu wirklichen Erkenntnissen komme ich auf diese Weise nicht, trotz der vielen Lesestunden. Natürlich weiß ich, dass es ergiebiger wäre, mir ein einziges Buch vorzuknöpfen und die anderen wegzulegen. Warum tue ich es nicht?
Ich kenne einen Mann, der gleichzeitig drei Beziehungen zu Frauen unterhält. Er liebt jede dieser Frauen und kann sich vorstellen, mit jeder eine Familie zu gründen. Doch er bringt es nicht übers Herz, sich für eine zu entscheiden, weil es mit den beiden anderen dann garantiert vorbei wäre. Entscheidet er sich für keine, bleiben alle Möglichkeiten offen – mit dem Preis, dass keine richtige Beziehung entstehen kann.
Ich sehe junge Menschen, die zwei oder drei Studiengänge parallel verfolgen, in der irrigen Auffassung, sie hätten anschließend mehr Karrieremöglichkeiten. Ja, was ist denn so falsch, wenn man sich Möglichkeiten offenhält?
Im dritten Jahrhundert v. Chr. setzte General Xiang Yu seine Armee über den Jangtse, um gegen die Truppen der Qin-Dynastie zu kämpfen. Während seine Mannschaft schlief, verbrannte er alle Schiffe. Am nächsten Tag erklärte er seiner Truppe: »Jetzt habt ihr die Wahl: Entweder ihr kämpft bis zum Sieg oder ihr werdet sterben.« Indem er seiner Mannschaft die Möglichkeit zur Rückkehr nahm, lenkte er ihren Fokus auf das Einzige, was zählte: den Kampf. Den gleichen Trick benützte der spanische Konquistador Cortés im 16. Jahrhundert. Nach der Landung an der Ostküste Mexikos versenkte er die eigenen Schiffe.
Xiang Yu und Cortés sind Ausnahmen. Wir Normalsterblichen tun alles, um uns möglichst viele Optionen aufrechtzuerhalten. Wie stark dieser Trieb ist, zeigten die Psychologieprofessoren Dan Ariely und Jiwoong Shin anhand eines Computerspiels. Auf dem Bildschirm waren drei Türen zu sehen – eine rote, eine blaue und eine grüne. Die Spieler starteten mit 100 Punkten. Das Öffnen einer Tür kostete einen Punkt. In jedem Raum gab es Punkte zu gewinnen. Es war ziemlich einfach, herauszufinden, welches der ergiebigste Raum war. Die Spieler taten, was logisch war: Sie fanden den besten Raum und blieben während der ganzen Spielzeit da drin. Nun veränderten Ariely und Shin die Regeln. Jede Tür, die während zwölf Zügen nicht geöffnet wurde, verschwand unwiederbringlich. Die Spieler hetzten nun von Tür zu Tür, um ja nicht den Zugang zu einer potenziellen Punkteschatzkammer zu verlieren. Sie sammelten 15 % weniger Punkte, als wenn sie, wie zuvor, im ergiebigsten Raum geblieben wären. Als Nächstes erhöhte man die Kosten, um Türen zu öffnen, von
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