Die Kunst des klugen Handelns: 52 Irrwege, die Sie besser anderen überlassen (German Edition)
Anfänger. Der Ball segelte ins Gebüsch – fast 20 Meter vom Loch entfernt. Van de Velde wurde immer nervöser. Die nächsten Schläge waren nicht besser. Er schoss den Ball nochmals ins kniehohe Gras, dann ins Wasser, dann in den Sand. Seine Körperbewegungen glichen plötzlich denen eines Anfängers. Schließlich schaffte er es aufs Grün und – nach dem siebten Versuch – ins Loch. Van de Velde verlor die British Open. Das war das vorläufige Ende seiner Karriere.
Jonah Lehrer beschreibt in seinem Buch How We Decide die Gefahr des Zu-viel-Denkens . In den 80er-Jahren ließ die amerikanische Konsumentenzeitschrift Consumer Reports 45 verschiedene Sorten von Erdbeermarmelade von erfahrenen Degustatoren testen. Einige Jahre später wiederholte der Psychologieprofessor Timothy Wilson das Experiment mit seinen Studenten. Resultat: beinahe identisch. Die Studenten bevorzugten dieselben Marmeladen wie die Experten. Das war aber nur der erste Teil von Wilsons Experiment. Er wiederholte es mit einer zweiten Gruppe von Studenten, die im Gegensatz zur ersten Gruppe einen Fragebogen ausfüllen mussten, der sie zwang, ihre Bewertungen detailliert zu begründen. Die Rangliste, die so entstand, war komplett verdreht. Manche der besten Sorten bekamen jetzt teilweise die schlechtesten Noten.
Fazit: Wenn man zu viel nachdenkt, schnürt man den Kopf von der Weisheit der Gefühle ab. Klingt esoterisch, ist es aber nicht, denn Emotionen entstehen genauso im Hirn wie glasklare, rationale Gedanken. Sie sind bloß eine andere Art der Informationsverarbeitung als das rationale Denken – eine ursprünglichere, aber nicht notwendigerweise schlechtere. Oft eben sogar die bessere.
Fragt sich: Wann soll man nachdenken, wann auf den »Bauch« hören? Eine Faustregel könnte lauten: Handelt es sich um eingeübte, vor allem motorische Fähigkeiten (Tausendfüßler, Van de Velde) oder geht es um Fragen, die wir schon tausendmal beantwortet haben (Warren Buffett spricht in diesem Fall von einem »Circle of Competence«), dann denkt man besser nicht nach. Das Nachdenken würde die intuitive Lösungsfindung unnötig sabotieren. Dasselbe gilt für Entscheidungen, vor denen schon unsere Steinzeitvorfahren standen: die Bewertung von Esswaren etwa, die Wahl von Freunden oder die Frage, wem man vertrauen kann. Dafür haben wir Heuristiken (Denkabkürzungen), die dem rationalen Denken deutlich überlegen sind. In komplexen Situationen hingegen, auf die uns die Evolution nicht vorbereitet hat (zum Beispiel Investitionsentscheidungen) tun Sie gut daran, nüchtern nachzudenken. Hier ist Logik besser als Intuition.
Der Mathematikprofessor Barry Mazur erzählt dazu diese Geschichte: »Vor einigen Jahren versuchte ich zu entscheiden, ob ich von Stanford nach Harvard ziehen sollte oder nicht. Pausenlos belästigte ich meine Freunde mit diesem Dilemma. Schließlich sagte einer: ›Du bist einer der Experten auf dem Gebiet der Entscheidungstheorie. Vielleicht solltest du eine Liste aller Vor- und Nachteile zusammenstellen, sie bewerten und den erwarteten Nutzen ausrechnen.‹ Ohne zu überlegen schoss es aus mir heraus: ›Ich bitte dich, Sandy, das hier ist eine ernste Angelegenheit!‹«
WARUM SIE SICH ZU VIEL VORNEHMEN
Planungsirrtum
Sie stellen sich am Morgen Ihre Aufgabenliste zusammen. Wie oft kommt es vor, dass Sie alle Aufgaben am Abend abgearbeitet haben? Sie schaffen das immer? Jeden zweiten Tag? Vielleicht einmal pro Woche? Wenn Sie so ticken wie die meisten Menschen, gehen Sie gerade mal jeden 20. Tag mit einer komplett abgehakten Aufgabenliste in den Feierabend. Sie nehmen sich also viel zu viel vor. Geradezu absurd viel. Das wäre verzeihlich, wenn es Ihr erster Tag auf diesem Planeten wäre. Doch Sie machen ja schon seit Jahren Aufgabenlisten, wenn nicht seit Jahrzehnten. Also dürfte man annehmen, Sie würden Ihre Fähigkeit, Dinge zu erledigen, nicht jeden Tag von Neuem überschätzen. Das ist keine triviale Feststellung, denn auf anderen Gebieten lernen Sie ja auch aus Ihrer Erfahrung. Warum denn nicht, wenn es um Pläne geht? Obwohl Sie wissen, dass die meisten Ihrer früheren Prognosen zu optimistisch waren, glauben Sie allen Ernstes daran, dass Sie heute ausnahmsweise realistisch seien. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman nennt das Planungsirrtum (englisch: Planning Fallacy ).
Studenten im letzten Semester müssen üblicherweise eine Jahresarbeit schreiben. Der kanadische Psychologe Roger Buehler und sein
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