Die Kunst des klugen Handelns: 52 Irrwege, die Sie besser anderen überlassen (German Edition)
Forschungsteam stellten ihrer Abschlussklasse zwei Fragen. Die Studenten sollten angeben, wann sie die Arbeit a) »realistischerweise« abgeben würden und wann, falls b) »alles schiefläuft«. Das Ergebnis: Nur 30 % der Studenten hielten den »realistischen« Termin ein. Im Schnitt brauchten sie fast doppelt so lange, ja, ganze sieben Tage länger als in ihrem »Alles-läuft-schief«-Szenario.
Besonders ausgeprägt ist der Planungsirrtum , wenn Menschen miteinander kooperieren – in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Der Zeitaufwand und der Nutzen von Projekten werden überschätzt – ganz im Gegenteil zu Kosten und Risiken, die systematisch unterschätzt werden. Das muschelförmige Opernhaus von Sydney wurde 1957 geplant: Fertigstellung im Jahr 1963 bei sieben Millionen Dollar Kosten, so das Ziel. Es öffnete seine Tore 1973 – mit Kosten von 102 Millionen Dollar. 14-mal mehr!
Warum können wir nicht planen? Erster Grund: Wunschdenken. Wir möchten Erfolgsmenschen sein, die alles erreichen, was sie sich vornehmen. Zweitens: Wir konzentrieren uns zu stark auf das Projekt und blenden die projektfremden Einflüsse aus. Nassim Taleb beschreibt in seinem Buch Der Schwarze Schwan , wie ein Kasino in Las Vegas Risiken und Gewinne perfekt berechnete. Doch dann passierten drei Dinge, die beinahe zum Bankrott geführt hätten. Das Kasino verlor über 100 Millionen Dollar, weil ein Star in einer Show von einem Tiger angegriffen wurde (Roy von »Siegfried & Roy«). Ein Mitarbeiter verschlampte Steuerformulare – der Entzug der Kasinolizenz drohte. Schließlich wurde die Tochter des Kasinobesitzers entführt, und dieser griff, um das Lösegeld aufzubringen, in den Pot des Kasinos. Mit so was hatte natürlich niemand gerechnet, aber es sind genau die unerwarteten Dinge – selbst wenn sie nicht halb so dramatisch sind –, die uns Pläne zunichtemachen. Auch bei unseren Tagesplänen: Die Tochter hat eine Fischgräte verschluckt. Die Autobatterie hat ihren Geist aufgegeben. Eine Offerte für das Haus landet auf dem Tisch und muss dringend besprochen werden.
Noch genauer planen – wäre das die Lösung? Nein, die Schritt-für-Schritt-Planung verstärkt sogar den Planungsirrtum , weil man damit den Fokus auf das Projekt verstärkt und damit noch weniger an Unerwartetes denkt.
Was also tun? Konsultieren Sie die Vergangenheit. Richten Sie den Blick nicht nach innen – auf Ihr eigenes Projekt –, sondern knallhart nach außen, auf vergleichbare Vorhaben. Wenn ähnliche Projekte drei Jahre dauerten und fünf Millionen verschlangen, wird dies wahrscheinlich auch auf Ihr Projekt zutreffen – egal, wie genau Sie planen. Und, ganz wichtig, führen Sie eine sogenannte »Premortem«-Sitzung durch (wörtlich: »vor dem Tod«), knapp bevor über das Projekt entschieden wird. Der amerikanische Psychologe Gary Klein empfiehlt diese kurze Rede vor versammeltem Team: »Stellen Sie sich vor, heute in einem Jahr. Wir haben den Plan, wie er jetzt auf Papier steht, umgesetzt. Das Ergebnis ist ein Desaster. Nehmen Sie sich fünf bis zehn Minuten Zeit, um eine kurze Geschichte dieses Desasters zu schreiben.« Die fiktiven Storys werden Ihnen zeigen, wie die Dinge laufen könnten.
DER MANN MIT DEM HAMMER BETRACHTET ALLES ALS NAGEL
Déformation professionnelle
Ein Mann nimmt einen Kredit auf, gründet damit eine Firma und macht kurz darauf Bankrott. Er stürzt in eine Depression und bringt sich um.
Was machen Sie aus dieser Geschichte? Als Betriebswirtschaftler werden Sie verstehen wollen, warum die Geschäftsidee nicht funktioniert hat: Konnte der Mann nicht führen? War die Strategie falsch, der Markt zu klein, die Konkurrenz zu groß? Als Marketingexperte vermuten Sie, dass der Mann seine Zielgruppe verfehlte. Wenn Sie Finanzexperte sind, fragen Sie sich, ob der Kredit das richtige Finanzierungsinstrument war. Als Lokaljournalist erkennen Sie das Potenzial der Geschichte: Zum Glück hat sich der Mann umgebracht! Als Schriftsteller überlegen Sie sich, wie sich der Vorfall zu einer Art griechischen Tragödie ausbauen ließe. Als Bankier glauben Sie an einen Fehler der Kreditabteilung. Als Sozialist an das Versagen des Kapitalismus. Als Pietist an eine Strafe Gottes. Als Psychiater an einen niedrigen Serotoninspiegel. Welche ist die »richtige« Perspektive?
Keine. »Wenn dein einziges Werkzeug ein Hammer ist, wirst du jedes Problem als Nagel betrachten«, sagte Mark Twain – ein Zitat, das die Déformation professionnelle
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