Die Kunst des klugen Handelns: 52 Irrwege, die Sie besser anderen überlassen (German Edition)
weißt du, was mich nicht umbringt, macht mich stärker.« Noch nie kam mir ein Satz so falsch vor.
Martin ist Unternehmer. Er stellt Laptoptaschen her. Fünf Jahre nach der Gründung seiner Firma trat ein Konkurrent auf den Plan und schnappte ihm die Kunden weg. Die Produkte waren vergleichbar, aber das Marketing des Konkurrenten war um Größenordnungen besser. Martin musste fast alle Mitarbeiter entlassen. Die Bank kündigte den Betriebskredit, und die fälligen Zinsen konnte er nur zahlen, weil er sich privat verschuldete. Das Unternehmen schrammte haarscharf an der Pleite vorbei. Heute ist Martin fast wieder so weit wie zuvor. »Wir haben viel gelernt und kommen jetzt gestärkt aus der Krise heraus.« Gestärkt aus der Krise?
»Was mich nicht umbringt, macht mich stärker.« Der Satz stammt von Nietzsche. Er ist falsch. Eine Firmenkrise stärkt nicht, sie schwächt: Die Kunden laufen davon. Die Medien kommentieren hämisch. Die besten Mitarbeiter laufen davon. Der Cash-Bestand sinkt. Die Kredite werden teurer. Das Management kriegt kalte Füße und verabschiedet sich. Und doch wollen wir Positives darin sehen.
Woher stammt diese Illusion? Versuchen Sie probabilistisch, das heißt, in Wahrscheinlichkeiten zu denken. Wer eine Krise überlebt, hat oft einfach Glück. Angenommen, man schickt 1.000 Laptoptaschenproduzenten durch eine heftige Wirtschaftskrise und verfolgt ihr Schicksal. Wie würde die statistische Verteilung aussehen? Die meisten bankrott, einige wenige gleich weit wie vorher und ganz wenige besser. Aus der Sicht der Überlebenden ist man gestärkt aus der Krise gekommen. Aber das ist eine optische Illusion. Im Ganzen betrachtet ist die Krise eine Krise und kein Stärkungsprozess. Dass man in einer Krise auch untergehen kann (oder hätte untergehen können), vergisst man leicht.
Ein Freund hatte einen Motorradunfall. Hat ihn der Crash stärker gemacht? Er hat gelernt, wie gefährlich Motorradfahren ist, und hat sein Motorrad verkauft. Bravo. Dafür hätte ein Blick in die Statistik gereicht. Er hätte nicht mit dem Tod liebäugeln brauchen. Viele Menschen sagen: »Die Krise hat mir gutgetan, ich lebe nun ganz anders.« Nun gut, aber diese Überlegung (weniger Stress, weniger Geldgier, seiner Berufung nachgehen und so weiter) hätte man sich auch vorher machen können. Die Erkenntnis über den Weg eines Unfalls, einer Krankheit oder eines Zusammenbruchs zu finden ist der tragischste und – Pardon – der idiotischste Weg. Wenn der neue Lebensstil heute Sinn macht, hätte er auch vorher schon Sinn machen sollen. Man hat es nicht realisiert? Das heißt nichts anderes, als dass man denkfaul oder inkonsequent war.
Es ist eine Illusion, zu glauben, dass uns Schreckliches guttut. Eine Krankheit, und mag sie noch so eine Erfahrung sein, hinterlässt Spuren am Körper. Der Körper ist nicht gesünder als vor der Krankheit. Ebenso ein Unfall oder ein Burn-out. Und wie viele Soldaten kommen »gestärkt« aus einem Krieg hervor? Ist, wer Fukushima oder den Wirbelsturm Katrina überlebt hat, »gestärkt« für die Zukunft? Man hat eine Erfahrung gemacht. Doch statt sich damit zu trösten, dass einem diese beim nächsten Wirbelsturm zugutekommen wird, wäre es intelligenter, aus dem Gefahrengebiet wegzuziehen.
Fazit: Wenn ein CEO verkündet, die Firma sei gestärkt aus der Krise gekommen, ist das ein Aufruf, genauer hinzuschauen. Das Gegenteil könnte der Fall sein. Was Sandra betrifft: Ich ließ ihr die Illusion. Sie ermöglicht ihr ein Leben, das angenehmer ist als die Wahrheit.
WARUM SIE GELEGENTLICH AM BRENNPUNKT VORBEISCHAUEN SOLLTEN
Aufmerksamkeitsillusion
Nach heftigen Regenfällen im Süden Englands trat der Fluss im Dorf Luckington in der Nähe von Bristol über die Ufer. Die Polizei sperrte die Furt – also die Untiefe, die Fahrzeuge normalerweise durchqueren – und signalisierte eine Umleitung. Zwei Wochen lang dauerte die Sperre, und jeden Tag fuhr mindestens ein Auto an der Warntafel vorbei, hinein in das reißende Wasser. Die Fahrer waren so sehr auf ihr Navigationssystem konzentriert, dass sie nicht sahen, was direkt vor ihnen lag.
In den 90er-Jahren filmten die Harvard-Psychologen Christopher Chabris und Daniel Simons zwei Teams von Studentinnen, die sich Basketbälle hin- und herwarfen. Das eine Team trug schwarze, das andere weiße T-Shirts. Das kurze Video ist auf YouTube unter The Monkey Business Illusion zu finden. Falls Sie Internetzugang haben, lesen Sie nicht weiter, bis Sie
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