Die Kunst des klugen Handelns: 52 Irrwege, die Sie besser anderen überlassen (German Edition)
das Video gesehen haben.
Probanden, die sich das Video anschauten, wurden aufgefordert, zu zählen, wie oft sich die weißen Spielerinnen den Ball zuwarfen. In der Mitte des Films passiert etwas Absurdes: Ein als Gorilla verkleideter Student spaziert in die Mitte des Spielfelds, trommelt sich auf die Brust und macht sich wieder aus dem Staub. Am Ende des Videos wurden die Probanden gefragt, ob ihnen etwas Unübliches aufgefallen sei, ja ob sie den Gorilla gesehen hätten. Die Hälfte der Zuschauer schüttelte erstaunt den Kopf. Gorilla? Was für ein Gorilla?
Das Monkey-Business-Experiment gilt als eines der bekanntesten in der Psychologie und demonstriert die sogenannte Aufmerksamkeitsillusion : Wir glauben, nichts zu verpassen, was sich in unserem Gesichtsfeld abspielt. Doch in Wahrheit sehen wir oft nur das, worauf wir uns konzentrieren – hier das Zählen der Bälle. Das Unerwartete kann dabei noch so groß und auffällig daherkommen wie ein Gorilla.
Die Aufmerksamkeitsillusion kann gefährlich sein, zum Beispiel wenn Sie im Auto telefonieren. Im Normalfall läuft alles gut. Ihr Telefongespräch hat keinen negativen Einfluss auf die Routinetätigkeit, nämlich das Fahrzeug in der Mitte des Fahrstreifens zu halten und zu bremsen, wenn das vordere bremst. Doch sobald ein unerwartetes Ereignis die Routine unterbricht – etwa ein Kind über die Straße rennt –, bleibt nicht genug Aufmerksamkeit übrig, um zu reagieren. Studien belegen, dass Telefonieren während des Fahrens die Reaktionsgeschwindigkeit gleich stark heruntersetzt wie Fahren im betrunkenen Zustand. Ob Sie das Handy in der Hand halten oder die Gegensprechanlage benutzen, spielt dabei keine Rolle. Die Aufmerksamkeit für unerwartete Straßensituationen ist weg.
Vielleicht kennen Sie den englischen Ausdruck »the elephant in the room«. Damit bezeichnet man ein offensichtliches Thema, über das niemand sprechen will. Eine Art Tabu. Lassen Sie uns im Gegensatz dazu den Ausdruck »der Gorilla im Raum« definieren: Ein Thema, das übergroß, überaus wichtig und dringend ist, über das man durchaus sprechen würde, aber niemand nimmt es wahr.
Nehmen Sie den Fall Swissair: Ein Unternehmen, das so sehr auf Expansion fixiert war, dass es die schrumpfende Liquidität übersah. Oder die Misswirtschaft im Ostblock, die zum Fall der Berliner Mauer führte. Oder die Risiken in den Bankbilanzen, die bis 2007 niemand beachtete, bevor sie ein Jahr später das Finanzsystem kollabieren ließen. Alles Gorillas, die vor unserer Nase herumtrampeln – weitgehend unbemerkt.
Nun ist es ja nicht so, dass wir überhaupt nichts Außergewöhnliches wahrnehmen würden. Die Krux ist vielmehr: Uns fallen nur diejenigen überraschenden Dinge auf, die uns eben auffallen – und nicht jene, die wir übersehen. Wir haben keine Evidenz für unsere fehlende Aufmerksamkeit. Das gibt uns die gefährliche Illusion, dass wir alles Wichtige wahrnehmen.
Deshalb: Rauben Sie sich selbst diese Aufmerksamkeitsillusion immer mal wieder. Konfrontieren Sie sich mit allen möglichen und scheinbar unmöglichen Szenarien. Was könnte Unerwartetes eintreten? Was lauert neben, was lauert hinter den medialen Brennpunkten? Wovon spricht niemand? Wo ist es merkwürdig ruhig? Denken Sie das Undenkbare. Fazit: Etwas Überraschendes kann noch so groß und anders sein, wir sehen es vielleicht nicht. Groß und anders zu sein genügt nicht. Es muss erwartet werden.
WARUM HEISSE LUFT ÜBERZEUGT
Strategische Falschangaben
Angenommen, Sie bewerben sich um Ihre Traumstelle. Sie polieren Ihren Lebenslauf auf Hochglanz. Im Job-Interview streichen Sie Ihre Erfolge und Fähigkeiten heraus und gehen geflissentlich über weniger Vorteilhaftes hinweg. Gefragt, ob es Ihnen gelingen würde, den Umsatz um 30 % zu steigern und gleichzeitig die Kosten um 30 % zu reduzieren, antworten Sie mit ruhiger Stimme: »Davon dürfen Sie ausgehen.« Selbst wenn Sie innerlich zittern und sich fragen, wie zum Teufel das gehen soll, setzen Sie alles daran, den Job zu bekommen. Erst den Job, dann die Details. Sie wissen: Mit einer einigermaßen realistischen Antwort wären Sie aus dem Rennen.
Angenommen, Sie sind Journalist und haben eine grandiose Idee für ein Sachbuch. Das Thema ist in aller Munde. Sie finden einen Verleger, der bereit ist, einen schönen Vorschuss zu bezahlen. Was er allerdings braucht, um richtig zu kalkulieren, ist ein Zeitplan. Er zieht die Lesebrille aus dem Gesicht und schaut Sie an: »Wann darf ich
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