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Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Nagual-Frau zu gewinnen, eine stärkere Bindung zwischen ihnen allen schuf und ihre Entschlossenheit, die Freiheit zu suchen, kräftigte.
    Sein Wohltäter entwickelte seinen Plan, die Nagual-Frau in ihren Kreis zu ziehen, indem er urplötzlich ein frommer Katholik wurde . Er verlangte, daß Don Juan - als Erbe seines Wissens sich wie sein Sohn verhalten und mit ihm in die Kirche gehen sollte. Fast jeden Tag schleppte er ihn in die Messe. Don Juan sagte, dass sein Wohltäter. Der sehr charmant und gewandt sein konnte, ihn jedermann in der Kirche als seinen Sohn, einen Knocheneinrenker, vorstellte.
    Don Juan, der sich damals als einen unzivilisierten Heiden bezeichnete, fühlte sich gedemütigt, als er sich nun in gesellschaftlichen Situationen bewegte, in denen er sprechen und von sich selbst erzählen mußte. Er beruhigte sich aber bei dem Gedanken, daß sein Wohltäter bei allem, was er tat, ein höheres Motiv hatte. Er versuchte, ihn zu beobachten und daraus auf seine Pläne zu schließen. Die Handlungen seines Wohltäters waren stimmig und schienen wohlüberlegt. Als vorbildlicher Katholik gewann er bald das Vertrauen vieler Gemeindemitglieder, besonders des Priesters, der ihn solcher Wertschätzung würdigte, daß er ihn als seinen Freund und Vertrauten bezeichnete. Don Juan kam zu keinem Schluß. So verfiel er schließlich auf den Gedanken, daß sein Wohltäter sich entweder ernstlich dem Katholizismus zugewandt oder den Verstand verloren habe. Damals wußte er noch nicht, daß ein Krieger unter keinen Umständen seinen Verstand verliert.
    Don Juans Bedenken gegen den Kirchgang schwanden allmählich, als sein Wohltäter anfing, ihn den Töchtern der Leute vorzustellen, die er kennengelernt hatte. Das gefiel Don Juan, wenn er sich auch unbehaglich fühlte. Don Juan meinte, sein Wohltäter wolle ihm helfen, sich im Sprechen zu üben. Er war weder gewandt noch charmant, und sein Wohltäter sagte, daß ein Nagual unbedingt beides sein müsse.
    Eines Sonntags während der Messe, nach einem Jahr beinahe täglicher Anwesenheit beim Gottesdienst, fand Don Juan den wahren Grund für seinen Kirchgang heraus. Er kniete neben einem Mädchen namens Olinda, der Tochter eines der Bekannten seines Wohltäters. Er wandte sich zur Seite, um mit ihr Blicke zu wechseln, wie sie es sich nach Monaten täglichen Kontakts angewöhnt hatten. Ihre Augen begegneten sich, und plötzlich sah Don Juan sie als leuchtendes Wesen, und dann sah er ihr Doppeltsein. Olinda war eine doppelte Frau. Sein Wohltäter hatte es schon die ganze Zeit gewußt, und er hatte den schwierigsten Weg eingeschlagen, um Don Juan mit ihr in Verbindung zu bringen. Don Juan gestand mir, der Augenblick sei für ihn überwältigend gewesen.
    Sein Wohltäter wußte, daß Don Juan gesehen hatte. Sein Auftrag, die Doppelwesen zusammenzuführen, war erfolgreich und makellos erfüllt. Er stand auf und ließ seine Augen über alle Winkel dieser Kirche gleiten. Ohne einen Blick zurück ging er hinaus. Für ihn gab es dort nichts mehr zu tun.
    Als sein Wohltäter mitten in der Messe aus der Kirche ging, so erzählte Don Juan, drehten sich alle Köpfe nach ihm um. Don Juan wollte ihm folgen, aber Olinda griff kühn nach seiner Hand und hielt ihn zurück. Da wußte er, daß die Kraft des Sehens nicht nur für ihn allein gewesen war. Irgend etwas hatte sie beide erfaßt. Sie erstarrten. Irgendwann merkte Don Juan, daß nicht nur die Messe zu Ende war, sondern daß sie beide bereits draußen vor der Kirche standen. Sein Wohltäter versuchte Olindas Mutter zu beruhigen, die beleidigt war und sich für die unerwartete und unerhörte Liebesbezeugung der beiden schämte.
    Don Juan wußte nicht, was er nun machen sollte. Er wußte, daß es seine Sache war, einen Plan auszudenken. Er hatte die Mittel dazu, aber die Bedeutung des Ereignisses ließ ihn alles Zutrauen zu seinen Fähigkeiten verlieren. Er vergaß auf sein Training als Pirscher und verstrickte sich in den intellektuellen Zwiespalt, ob er Olinda als kontrollierte Torheit behandeln sollte oder nicht.
    Sein Wohltäter sagte, er könne ihm nicht helfen. Es sei lediglich seine Pflicht gewesen, die beiden zusammenzuführen, und damit habe seine Verantwortung geendet. Nun sei es an Don Juan, die notwendigen Schritte zu unternehmen, um sie zu gewinnen. Er schlug vor, Don Juan solle notfalls sogar bereit sein, sie zu heiraten. Erst nachdem sie von sich aus zu ihm gekommen wäre, könne er Don Juan weiterhelfen, indem er direkt als

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