Die Kunst des Pirschens
hatte.
Falls diese Zauberer der gleichen kulturellen Tradition angehörten wie Don Juan und Don Genaro, mußten sie makellose Praktiker gewesen sein, und in diesem Fall waren dem, was sie durch die Fixierung ihrer zweiten Aufmerksamkeit bewirken konnten, keine Grenzen gesetzt.
Wenn sie wollten, daß die Atlanter in der Nacht umherliefen, dann liefen die Atlanter in der Nacht umher.
Während ich noch redete, wurden die Schwesterchen sehr wütend und ungehalten gegen mich.
Als ich geendet hatte, warf Lydia mir vor, ich täte nichts anderes als reden. Dann standen sie auf und gingen hinaus, ohne sich zu verabschieden. Die Männer folgten ihnen, aber immerhin blieben sie an der Tür stehen und schüttelten mir die Hand. La Gorda und ich blieben im Zimmer zurück.
»Irgend etwas stimmt nicht mit diesen Frauen«, sagte ich.
»Nein, du irrst dich. Sie sind nur des Redens leid«, sagte La Gorda. »Sie erwarten von dir irgendeine Tat. «
»Wieso sind die Genaros nicht des Redens leid?« fragte ich sie.
»Sie sind dümmer als die Frauen«, erwiderte sie trocken.
»Und du, Gorda?« fragte ich. »Bist du auch des Redens leid?«
»Ich weiß nicht, was ich bin«, sagte sie feierlich. »Wenn ich mit dir zusammen bin, bin ich's nicht leid; aber wenn ich mit den Schwesterchen zusammen bin, dann bin ich es unendlich leid, genau wie sie. «
Während der folgenden ereignisreichen Tage, die ich mit ihnen allen zusammen war, zeigte sich deutlich, daß die Schwesterchen mir durchaus feindlich gesinnt waren. Die Genaros duldeten mich gleichmütig. Nur la Gorda schien auf meiner Seite zu stehen. Ich begann mich zu fragen, warum wohl. Ich fragte sie danach, bevor ich nach Los Angeles aufbrach.
»Ich weiß nicht, wie es möglich ist, aber ich bin an dich gewöhnt«, sagte sie. »Es ist, als ob du und ich zusammengehörten, während die Schwesterchen und die Genaros in einer anderen Welt sind. «
2. »Zusammen sehen«
Nach meiner Rückkehr nach Los Angeles verspürte ich einige Wochen lang ein leichtes
Unbehagen, das ich mir als Schwindelgefühl oder plötzliche Atemnot, bedingt durch physische Erschöpfung, hinwegerklärte. Es gipfelte eines Nachts darin, daß ich erschrocken aufwachte und nicht mehr atmen konnte. Der Arzt, den ich aufsuchte, diagnostizierte meine Schwierigkeit als Hyperventilation, wahrscheinlich durch innere Spannungen verursacht. Er verschrieb mir ein Beruhigungsmittel und empfahl mir, in eine Tüte zu atmen, falls der Anfall sich wiederholen sollte.
Ich beschloß nach Mexiko zurückzukehren, um la Gorda um Rat zu fragen. Nachdem ich ihr die Diagnose des Arztes mitgeteilt hatte, versicherte sie mir gleichmütig, daß es sich nicht um eine Krankheit handele, daß ich vielmehr endlich meine Schilde ablegte und daß das, was ich erlebte, der »Verlust meiner menschlichen Form« und der Eintritt in einen neuen Zustand der Loslösung vom menschlichen Alltagsleben sei. »Kämpfe nicht dagegen an«, sagte sie. »Es ist unsere natürliche Reaktion auf so etwas, dagegen anzukämpfen. Wenn wir dies tun, vertreiben wir es. Löse dich von deiner Angst und verfolge Schritt für Schritt den Verlust deiner menschlichen Form.«
Bei ihr selbst, so fügte sie hinzu, hatte die Auflösung ihrer menschlichen Form in ihrem Unterleib begonnen, mit einem starken Schmerz und einem ungewöhnlichen Druck, der sich allmählich in zwei Richtungen verlagerte, die Beine hinunter und bis in den Hals hinauf. Die Folgen, so sagte sie, machten sich unmittelbar bemerkbar.
Ich hatte die Absicht, alle Abstufungen meines Eintretens in diesen neuen Zustand festzuhalten.
Ich war bereit, alles aufzuschreiben, was kommen würde, aber zu meinem Leidwesen geschah nichts mehr. Nach etlichen Tagen der fruchtlosen Erwartung schob ich la Gordas Erklärung beiseite und kam zu dem Schluß, daß der Arzt meinen Zustand richtig diagnostiziert hatte. Es schien mir völlig verständlich. Ich trug eine Verantwortung, die eine unerträgliche Spannung in mir erzeugte. Ich hatte die Führerrolle akzeptiert, welche die Lehrlinge mir zuschrieben, aber ich hatte keine Ahnung, wie ich sie führen sollte.
Der Druck, unter dem mein Leben stand, zeigte sich auch noch auf bedenklichere Weise. Mein gewohntes Maß an Energie wurde zunehmend schwächer. Don Juan hätte gesagt, ich verlöre meine persönliche Kraft und würde schließlich mein Leben verlieren. Don Juan hatte mich darauf vorbereitet, ausschließlich mit Hilfe der persönlichen Kraft zu leben, was ich als
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