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Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Tieres. Ihre ganze Konzentration lag in einem Stoß ihres Körpers.
    Hätte sie mich getroffen, dann hätte es mich getötet. Sie verfehlte meine Brust nur um Zentimeter. Ich packte sie von hinten im Schwitzkasten, und wir stürzten zu Boden. Wir rollten hin und her, bis wir völlig erschöpft waren. Ihr Körper entspannte sich. Sie begann meine Hände zu streicheln, die fest vor ihrem Bauch verschränkt waren.
    Dann bemerkte ich, daß Nestor und Benigno unter der Tür standen. Beide schienen nahe daran, sich übergeben zu müssen.
    La Gorda lächelte schüchtern und flüsterte mir ins Ohr, sie sei glücklich, daß ich sie überwältigt hatte.
    Ich nahm Josefina zu Pablito mit. Ich glaubte, sie sei die einzige unter den Lehrlingen, die wirklich jemanden brauchte, der für sie sorgte, und Pablito haßte sie am wenigsten von den Schwesterchen. Ich war mir sicher, daß seine ritterliche Art ihn zwingen würde, ihr die Hand zu reichen, denn sie würde Hilfe brauchen.
    Einen Monat später kehrte ich wieder nach Mexiko zurück. Pablito und Josefina waren wiedergekommen. Sie lebten zusammen in Don Genaros Haus, das sie mit Benigno und Rosa
    teilten.
    Nestor und Lydia lebten in Soledads Haus, und la Gorda lebte allein im Haus der Schwesterchen.
    »Bist du über unser neues Arrangement des Zusammenlebens überrascht?« fragte mich la Gorda.
    Meine Überraschung war mehr als offenkundig. Ich wollte ganz genau wissen, welche Konsequenzen diese neue Ordnung hätte. La Gorda teilte mir in lakonischem Ton mit, daß sie von keinerlei Konsequenzen wisse. Sie hatten beschlossen, in Paaren, aber nicht als Paare zu leben. Was immer ich glauben mochte, so fügte sie hinzu, sie waren dennoch makellose Krieger.
    Diese neue Anordnung war recht angenehm. Alle wirkten völlig entspannt. Niemand hackte auf dem anderen herum, und es gab keine Ausbrüche von Rivalität mehr unter ihnen. Auch waren sie dazu übergegangen, sich nach der indianischen Tracht jener Gegend zu kleiden. Die Frauen trugen Kleider mit weiten, gerafften Röcken, die fast bis an den Boden reichten. Sie trugen dunkle Kopftücher und hatten das Haar in Zöpfen geflochten außer Josefina, die immer einen Hut aufhatte. Die Männer waren in dünne, pyjama-ähnliche weiße Hosen sowie Hemden und Strohhüte gekleidet. Alle trugen selbstgemachte Sandalen.
    Ich fragte la Gorda nach dem Grund für diese neue Art der Kleidung. Sie sagte, daß sie sich darauf vorbereiteten fortzugehen. Früher oder später würden sie, allein oder mit meiner Hilfe, dieses Tal verlassen. Sie würden in eine neue Welt, in ein neues Leben ziehen. Und wenn sie dies täten, dann wollten sie die Veränderung möglichst deutlich machen; je länger sie ihre Indianerkleidung trügen, desto drastischer wäre die Veränderung, wenn sie dann städtische Kleidung anlegten. Sie alle, so fügte sie an, hätten gelernt, in jeder Situation, in der sie sich gerade befanden, beweglich und zwanglos zu bleiben, und ich hätte doch das gleiche gelernt.
    Mir selbst kam es darauf an, mich ihnen gegenüber zwanglos zu verhalten, ganz gleich, wie sie sich zu mir verhielten. Ihnen dagegen kam es darauf an, ihr Tal zu verlassen und sich anderswo einzurichten, um herauszufinden, ob sie so beweglich sein könnten, wie Krieger es sein sollten.
    Ich bat la Gorda, mir ehrlich zu sagen, was sie über unsere Aussichten des Gelingens dachte.
    Sie sagte, das Scheitern stünde uns allen ins Gesicht geschrieben.
    Dann wechselte sie unvermittelt das Thema und erzählte mir, sie habe bei ihrem „Träumen „ erlebt, daß sie eine riesige enge Schlucht zwischen zwei gewaltigen runden Bergkuppen anstarrte; sie meinte, daß die beiden Berge ihr bekannt
    vorkämen, und wollte, daß ich sie in eine Stadt in der Nähe fuhr. Ohne zu wissen warum, glaubte sie, daß die zwei Berge sich dort befänden und daß die Botschaft ihres »Träumens«
    besagte, daß wir beide dorthin fahren sollten.
    Bei Anbruch der Dämmerung fuhren wir los. Ich war schon früher einmal durch diese Stadt gekommen. Sie war sehr klein, und in der Umgebung war mir nie etwas aufgefallen, das auch nur annähernd la Gordas Vision entsprochen hätte. Es gab dort nur zerklüftete Hügel. Wir stellten fest, daß die zwei Berge nicht da waren oder daß wir sie, falls sie da waren, nicht finden konnten.
    Doch während der zwei Stunden, die wir in dieser Stadt verbrachten, hatten wir beide das Gefühl, als wüßten wir irgend etwas Unbestimmtes, ein Gefühl, das manchmal zu einer

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