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Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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war so überrascht, daß ich die Übelkeit in meinem Magen vergaß.
    Dann rief sie meine Männer und befahl ihnen, mich nach Hause zu bringen. Sie beugte ich vor und brachte ihren Mund so nah an mein Ohr, daß niemand sie hören konnte. >Wenn du nicht in neun Tagen wiederkommst, du Arschloch<, flüsterte sie, )wirst du anschwellen wie eine Kröte und dir bei Gott wünschen, du wärest tot.<«
    Florinda erzählte, daß die Flüssigkeit ihr den Schlund und die Stimmbänder verätzt hatte. Sie konnte kein Wort herausbringen. Dies aber war ihre geringste Sorge. Denn als sie zu Hause ankam, erwartete Celestino sie in einem Zustand der Raserei. Da sie selbst nicht sprechen konnte, war es Florinda möglich, ihn zu beobachten. Sie bemerkte, daß sein Zorn nicht etwa aus Besorgnis um ihre Gesundheit entsprang, sondern nur aus der Sorge um seine Stellung als Mann von Reichtum und sozialem Status. Er konnte es nicht ertragen, daß seine einflussreichen Freunde mit ansahen, wie er bei indianischen Zauberheilern Zuflucht nahm. Er tobte und schrie, er werde sich bei der Militärkommandantur beschweren, er werde die Heilerin von den Soldaten ergreifen und in die Stadt bringen lassen, damit sie eine Tracht Prügel bekäme und ins Gefängnis gesteckt würde. Dies waren keine leeren Drohungen; tatsächlich überredete er einen Kommandeur, eine Patrouille nach der Heilerin auszuschicken. Die Soldaten kamen einige Tage später zurück und brachten die Nachricht, daß die Frau geflohen sei.
    Florinda ließ sich von ihrem Dienstmädchen trösten, die ihr versicherte, daß die Heilerin sie erwarten werde, wenn sie nur wiederkommen wolle. Obgleich ihr Schlund noch immer so entzündet war, daß sie keine feste Nahrung zu sich nehmen und kaum Flüssigkeiten schlucken konnte, wollte Florinda kaum den Tag erwarten, an dem sie die Heilerin wiedersehen sollte. Die Medizin hatte die Schmerzen in ihrem Bein gelindert.
    Als sie Celestino ihre Absicht mitteilte, wurde er so wütend, daß er ein paar Gehilfen zusammenholte, um selber dem Unfug ein Ende zu bereiten. Er und drei seiner Freunde ritten zu Pferde vor ihr her.
    Als Florinda das Haus der Heilerin erreichte, so erzählte sie, hatte sie eigentlich erwartet, diese tot zu finden; statt dessen traf sie Celestino allein sitzend an. Er hatte seine Männer nach drei verschiedenen Orten in der Nachbarschaft geschickt, mit dem Befehl, die Heilerin nötigenfalls mit Gewalt herbeizuschaffen. Florinda entdeckte den gleichen alten Mann, den sie schon das letzte Mal kennengelernt hatte; er versuchte ihren Gatten zu beruhigen und versicherte ihm, daß ganz bestimmt einer seiner Männer bald mit der Frau zurückkommen werde.
    Kaum hatte Florinda sich auf ein Feldbett auf der vorderen Veranda gelegt, trat die Heilerin aus dem Haus. Sie fing an Celestino zu beleidigen, sie belegte ihn mit Schimpfnamen und brüllte ihm Obszönitäten ins Gesicht, bis er so wütend wurde, daß er aufsprang, und sie zu schlagen versuchte. Der alte Mann fiel ihm in den Arm und bat ihn, sie nicht zu schlagen. Er flehte ihn auf den Knien an und wies darauf hin, daß sie doch eine alte Frau sei. Celestino blieb ungerührt.
    Er sagte, er werde sie ungeachtet ihres Alters auspeitschen. Er trat vor, um sie zu packen, aber er erstarrte mitten in der Bewegung. Sechs schrecklich aussehende Männer kamen, ihre Macheten schwingend, hinter den Büschen hervor. Florinda sagte, daß Celestino sich vor Angst nicht rühren konnte. Er war aschfahl im Gesicht. Die Heilerin trat auf ihn zu und sagte, er werde sich entweder demütig von ihr den Hintern auspeitschen lassen, oder ihre Helfer würden ihn in Stücke hacken. Er, dieser stolze Mann, bückte sich demütig, um sich auspeitschen zu lassen. Die Heilerin hatte in wenigen Augenblicken einen hilflosen Mann aus ihm gemacht. Sie lachte ihm ins Gesicht. Sie wußte, daß er verspielt hatte, und sie ließ ihn fallen. Er war ihr in die Falle gegangen, der sorglose Narr, trunken von seinen übertriebenen Selbstwertvorstellungen.
    Florinda sah mich an und lächelte. Sie schwieg eine Weile.
    »Das erste Prinzip der Kunst des Pirschens ist, daß der Krieger selbst sein Schlachtfeld wählt«, sagte sie. Ein Krieger zieht nie in die Schlacht, ohne zu wissen, wie das Gelände beschaffen ist.
    Die Heilerin hatte mir - durch ihren Kampf mit Celestino - das erste Prinzip des Pirschens gezeigt.
    Dann kam sie zu der Stelle herüber, wo ich lag. Ich weinte. Es war das einzige, was ich tun konnte. Sie schien

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