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Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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dorthin. Sie schien nicht nur meine Augen, sondern auch jeden Zentimeter meines Gesichts und meines Körpers zu prüfen. Während sie sprach, glitten ihre Blicke rasch von meinem Gesicht zu meinen Händen oder zu ihren Füßen oder zum Dach hinauf.
    »Ich mache dich verlegen, nicht wahr?« fragte sie.
    Ihre Frage überraschte mich. Ich mußte lachen. Ihr Ton war alles andere als bedrohlich.
    »Das tust du«, sagte ich.
    »Ach, das ist ganz einfach«, fuhr sie fort. »Du bist es gewöhnt, ein Mann zu sein. Eine Frau ist für dich etwas, das zu deinem Vorteil da ist. Eine Frau ist für dich doof. Und die Tatsache, daß du ein Mann und zudem der Nagual bist, macht die Sache noch komplizierter.«
    Ich sah mich gezwungen, mich zu verteidigen. Ich fand, daß sie eine recht überhebliche Dame sei, und das wollte ich ihr sagen. Ich setzte zu einer schwungvollen Rede an, die aber sofort versiegte, als ich ihr Gelächter hörte. Es war ein fröhliches, jugendliches Lachen. Don Juan und Don Genaro lachten immer über mich, und ihr Lachen war ebenfalls jugendlich, aber Florindas Lachen hatte eine andere Schwingung. Es lag keine Eile in ihrem Lachen, kein Nachdruck.
    »Ich glaube, wir gehen lieber hinein«, sagte sie. »Es darf keine Ablenkungen geben. Der Nagual Juan Matus hat dich ja schon mitgenommen und dir die Welt gezeigt; das war wichtig für das, was er dir zu sagen hatte. Ich habe andere Dinge zu erzählen, die einen anderen Schauplatz erfordern.«
    Wir setzten uns auf ein Ledersofa in einem Anbau neben dem Patio. Dort, im geschlossenen Raum, fühlte ich mich wohler. Sie begann gleich mit der Geschichte ihres Lebens.
    Sie sagte, sie sei in einer ziemlich großen mexikanischen Stadt geboren, als Kind einer wohlhabenden Familie. Da sie das einzige Kind war, verwöhnten ihre Eltern sie vom Augenblick ihrer Geburt an. Ohne eine Spur von falscher Bescheidenheit gestand mir Florinda, daß sie sich immer bewußt gewesen war, schön zu sein. Die Schönheit, so sagte sie, sei ein Dämon, der Junge heckt und sich vermehrt, sobald er Bewunderung erfährt. Sie sagte, sie könne ohne Zweifel behaupten, daß dieser Dämon am schwersten zu überwinden sei, und ich brauchte mich nur unter den Schönen im Lande umzusehen, um die erbärmlichsten Geschöpfe zu sehen.
    Ich wollte ihr nicht widersprechen, und doch hatte ich den starken Wunsch, ihr zu sagen, daß sie irgendwie zu dogmatisch sei. Anscheinend hatte sie mein Gefühl gespürt, denn sie blinzelte mir zu.
    »Sie sind erbärmlich, das kannst du mir glauben«, fuhr sie fort. »Stell sie mal auf die Probe. Weigere dich, ihren Glauben zu stützen, daß sie schön und daher wichtig sind. Dann wirst du sehen, was ich meine.«
    Sie sagte, daß sie schwerlich ihre Eltern oder sich selbst für ihren Hochmut verantwortlich machen könne. Ihre ganze Umgebung habe sich seit ihrer Kindheit verschworen, ihr das Gefühl zu vermitteln, als sei sie wichtig und einzigartig.
    »Als ich fünfzehn war«, fuhr sie fort, »hielt ich mich für die Größte, die je auf dieser Welt gewandelt ist. Alle sagten es mir, besonders die Männer.«
    Sie gestand, daß sie während ihrer ganzen Jugend die Aufmerksamkeiten und Lobhudeleien Dutzender von Bewunderern genossen habe. Mit achtzehn wählte sie mit Bedacht den bestmöglichen Gatten aus einer Reihe von nicht weniger als sieben ernsthaften Bewerbern aus.
    Sie heiratete Celestino, einen wohlhabenden Mann, der fünfzehn Jahre älter war als sie.
    Florinda schilderte ihre Ehe als einen Himmel auf Erden. Zu ihrem eigenen großen Freundeskreis gewann sie noch Celestinos Freunde hinzu. Das Ergebnis war ein ewiger Feiertag.
    Ihre Seligkeit dauerte aber nur sechs Monate, die fast wie im Flug vergingen. All das fand ein ganz plötzliches, brutales Ende, als sie sich eine geheimnisvolle entstellende Krankheit zuzog.
    Ihr linker Fuß, der Knöchel und die Wade begannen anzuschwellen. Die Form ihres schönen Beins war zerstört; die Schwellung war so stark, daß das Hautgewebe Blasen bildete und platzte. Ihr ganzer Unterschenkel vom Knie abwärts war von Schorf und einem stinkenden Sekret überzogen. Die Haut verhärtete sich. Die Krankheit wurde als Elephantiasis diagnostiziert. Die Bemühungen der Ärzte, die Krankheit zu heilen, waren ungeschickt und schmerzhaft; schließlich kam sie zu dem Schluß, daß es nur in Europa Kliniken gebe, die fortschrittlich genug waren, um eine Heilung zu ermöglichen.
    Binnen drei Monaten hatte Florindas Paradies sich in eine Hölle auf

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