Die Kunst des Pirschens
Dabei, so meinte Florinda, hielt er sich an eine Strategie, die darin besteht, einen kleinen Teil des anderen Selbst zu entwickeln, indem man diesen wohlüberlegt mit Erinnerungen an Interaktionen füllt. Diese Erinnerungen werden dann vergessen, nur um eines Tages wieder an die Oberfläche zu kommen und uns als rationale Außenposten zu dienen, von denen wir in die unermessliche Weite des anderen Selbst aufbrechen.
Weil ich so nervös war, schlug sie vor, ich solle mich beruhigen, während sie mit der Geschichte ihres Lebens fortfahren wolle, die, wie sie erklärte, nicht eigentlich die Geschichte ihres Lebens als Frau in dieser Welt sei, sondern die Geschichte, wie einer weichlichen Frau geholfen wurde, eine Kriegerin zu werden. Sie sagte, nachdem sie einmal entschlossen war, die Heilerin aufzusuchen, habe nichts sie zurückhalten können. Zusammen mit dem Dienstmädchen und vier Männern, die sie auf einer Bahre trugen, begab sie sich auf eine zweitägige Reise, die den Verlauf ihres Lebens änderte. Es gab keine Straßen. Das Gelände war bergig, und die Männer mußten sie die meiste Zeit' auf dem Rücken tragen.
In der Abenddämmerung erreichten sie das Haus der Heilerin. Die Wohnung war hell erleuchtet, und es waren viele Menschen da. Ein alter Mann, so erzählte Florinda, sagte ihr, daß die Heilerin für einen Tag fortgegangen sei, um eine Patientin zu behandeln. Der Mann schien recht gut über die Tätigkeit der Heilerin Bescheid zu wissen, und Florinda fand die Unterhaltung mit ihm angenehm. Er war sehr fürsorglich, und er vertraute ihr an, daß er selbst ein Patient sei. Seine Krankheit schilderte er als einen unheilbaren Zustand, der ihn blind für die Welt machte. Bis spät in die Nacht schwatzten sie freundschaftlich miteinander. Der alte Mann war so hilfsbereit, daß er Florinda sogar sein Bett zur Verfügung stellte, damit sie sich ausruhen und abwarten konnte, bis die Heilerin am nächsten Tag zurückkehrte.
Am andern Morgen, so erzählte Florinda, erwachte sie plötzlich von einem stechenden Schmerz in ihrem Bein. Eine Frau bewegte ihr Bein hin und her und drückte es mit einem glänzenden Stück Holz.
»Die Heilerin war eine sehr hübsche Frau«, fuhr Florinda fort. »Sie warf einen Blick auf mein Bein und schüttelte den Kopf. >Ich weiß, wer dir das angetan hat<, sagte sie. >Er muß eine ordentliche Belohnung erhalten haben, oder er hat dich für einen wertlosen Menschen gehalten. Was glaubst du wohl, war es?“
Florinda lachte. Sie sagte, damals habe sie geglaubt, die Heilerin sei entweder verrückt oder unverschämt. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß überhaupt irgend jemand auf der Welt sie für einen wertlosen Menschen hielt. Obwohl sie quälende Schmerzen litt, machte sie der Frau mit vielen Worten klar, daß sie eine reiche und wertvolle Persönlichkeit sei und sich von niemand zum Narren halten lasse.
Daraufhin, so erinnerte sich Florinda, änderte die Heilerin sofort ihre Haltung ihr gegenüber. Es schien, als habe sie es mit der Angst bekommen. Sie sprach sie respektvoll mit >Missi< an, sie stand von ihrem Stuhl auf und befahl allen anderen, aus dem Zimmer zu gehen. Als sie allein waren, hockte die Heilerin sich auf Florindas Brust und drückte ihren Kopf nach hinten über die Bettkante. Florinda sagte, sie habe versucht sich zu wehren. Sie dachte, die Frau wolle sie töten. Sie versuchte zu schreien, um ihre Diener herbeizurufen, aber die Heilerin zog ihr rasch eine Decke über den Kopf und hielt ihr die Nase zu. Florinda schnappte nach Luft und mußte mit offenem Mund atmen. Je stärker die Heilerin Florindas Brust drückte und je fester sie ihre Nase zuhielt, desto weiter riß Florinda den Mund auf. Als sie erkannte, was die Heilerin eigentlich machte, hatte sie bereits den ekelhaften Inhalt einer großen Flasche geschluckt, die die Heilerin ihr in den offenen Mund gesteckt hatte. Florinda bemerkte dazu, die Heilerin habe sie so schlau überlistet, daß sie nicht einmal würgen mußte, und dies trotz der Tatsache, daß ihr Kopf über die Bettkante hing.
» Ich trank so viel von dieser Flüssigkeit, daß mir übel wurde «, fuhr Florinda fort. »Sie ließ mich aufrecht sitzen und blickte mir ohne zu blinzeln in die Augen. Ich wollte mir den Finger in den Hals schieben, um mich zu übergeben. Sie ohrfeigte mich, bis meine Lippen bluteten. Eine Indianerin ohrfeigte mich! Schlug mir die Lippen blutig! Weder mein Vater noch meine Mutter hatten jemals Hand an mich gelegt. Ich
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