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Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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alte Mann ihr das Gebräu, das die Heilerin offenbar für sie dagelassen hatte. Er saß fast den ganzen Abend bei ihr. Er beruhigte sie, und sein unbeschwertes Geplauder beflügelte Florindas Optimismus und Selbstvertrauen.
    Ihre beiden Diener brachen am nächsten Morgen nach dem Frühstück auf. Florinda hatte überhaupt keine Angst. Sie vertraute dem alten Mann ohne weiteres. Er sagte ihr, er müsse, nach den Anweisungen der Heilerin, für ihre Behandlung einen Kasten bauen. Er setzte sie auf einen Stuhl, der im Mittelpunkt einer kreisrunden, völlig vegetationslosen Fläche stand.
    Während sie dort saß, stellte der Alte sie drei jungen Männern vor, die, wie er sagte, seine Gehilfen waren. Zwei waren Indianer, einer ein Weißer.
    Binnen weniger als einer Stunde bauten die vier Männer einen Verschlag um den Stuhl, auf dem Florinda saß. Als sie damit fertig waren, hockte Florinda behaglich in einem Kasten, der oben einen Lattenrost hatte, durch den genügend Luft hereinkam. Die eine Seitenfläche hing an Scharnieren und diente als Tür.
    Der alte Mann öffnete die Tür und half Florinda hinaus. Er brachte sie ins Haus und bat sie, ihm bei der Zubereitung ihrer Medizin behilflich zu sein, damit sie bereit wäre, wenn die Heilerin zurückkehrte.
    Florinda war fasziniert von der Art, wie er arbeitete. Er bereitete einen Trank aus Pflanzen, die einen stechenden Duft hatten, und stellte einen Eimer mit einer heißen Flüssigkeit bereit. Er schlug vor, sie solle zur Linderung ihren Fuß in den Eimer tauchen und, falls sie Lust hätte, das von ihm hergestellte Gebräu trinken, bevor es seine Wirkung verlor. Florinda gehorchte ihm, ohne zu fragen. Sie spürte eine erstaunliche Linderung.
    Dann wies der alte Mann ihr ein eigenes Zimmer zu und trug den jungen Männern auf, den Bretterverschlag hereinzuholen. Er sagte ihr, daß es Tage dauern könne, bevor die Heilerin auftauchte; in der Zwischenzeit müsse sie geflissentlich alle Anweisungen befolgen, die sie ihr hinterlassen hatte. Sie war einverstanden, und er holte eine Liste verschiedener Aufgaben hervor. Dazu gehörten weite Fußwanderungen, auf denen sie die für ihren Trank benötigten Heilpflanzen sammeln sollte, und ihre Mithilfe bei dessen Zubereitung.
    Florinda erzählte, daß sie dort zwölf statt acht Tage verbrachte, weil ihre Diener sich aufgrund sintflutartiger Regenfälle verspäteten. Erst am zehnten Tage entdeckte sie, daß die Heilerin gar nicht fortgegangen war und daß in Wirklichkeit der alte Mann der wahre Heiler war.
    Florinda lachte, als sie mir ihr Erschrecken schilderte. Der Alte hatte sie durch einen Trick dazu gebracht, an ihrer Heilung selbst mitzuwirken. Außerdem hatte er sie - unter dem Vorwand, daß die Heilerin es so verlangte - jeden Tag wenigstens sechs Stunden in den Verschlag gesteckt, damit sie eine bestimmte Aufgabe verrichte, die er das »Rekapitulieren« nannte.
    An dieser Stelle ihres Berichts musterte Florinda mich aufmerksam und fand, daß ich genug hätte und daß es Zeit für mich wäre, aufzubrechen.
    Bei unserer nächsten Begegnung erklärte sie, daß der alte Mann ihr Wohltäter und sie selbst die erste Pirscherin gewesen sei, den die Frauen aus dem Trupp ihres Wohltäters für den Nagual Juan Matus gefunden hatten. Aber von alledem wußte sie damals nichts. Zwar hatte ihr Wohltäter sie die Bewusstheitsebene wechseln lassen und ihr dies auch gesagt, aber es nützte nichts. Sie war dazu erzogen, schön zu sein, und dies hatte einen so undurchdringlichen Schild um sie her geschaffen, daß sie unempfänglich gegen die Veränderung war.
    Ihr Wohltäter kam zu dem Schluß, daß sie Zeit brauche. Er ersann einen Plan, um Celestino auf Florindas Schlachtfeld zu ziehen. Er ließ sie an Celestinos Charakter Dinge sehen, die sie selbst wohl erkannt hatte, ohne aber den Mut zu haben, sich dies einzugestehen. Celestino verband mit allem, was er hatte, ein starkes Besitzgefühl; sein Reichtum und Florinda gehörten zu seinen kostbarsten Besitztümern. Er hatte seine Empörung über die Demütigung, die er von der Heilerin erfahren hatte, herunterschlucken müssen, weil die Heilerin ohnehin minderwertig war und weil Florinda sich tatsächlich erholte. Er wartete auf seine Chance, wartete den Augenblick ab, da die Heilung abgeschlossen wäre, um dann Rache zu nehmen.
    Florinda erzählte, daß ihr Wohltäter ihr gesagt habe, es sei Gefahr, daß die Heilung zu rasch vonstatten gehen und Celestino beschließen könnte -denn er war es,

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