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Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Stufe. Es brauchte ein unglaubliches Maß an Aufmerksamkeit, um ins Parterre hinunterzukommen. Anders könnte ich es nicht beschreiben. Es bedurfte einer besonderen Achtsamkeit, um die Grenzen meines Gesichtsfeldes zu erhalten, um zu verhindern, daß sie sich in die verschwimmenden Bilder eines gewöhnlichen Traumes auflösten.
    Als ich endlich die Haustür erreichte, konnte ich sie nicht öffnen. Ich versuchte es verzweifelt, aber vergeblich. Dann erinnerte ich mich, wie ich aus meinem Zimmer hinausgelangt war; ich war hinausgeglitten, als ob die Tür offen gewesen wäre. Ich brauchte mich nur an dieses Gefühl des Gleitens zu erinnern, und schon stand ich draußen auf der Straße. Es schien dunkel zu sein.
    Es war eine besondere, bleiern graue Dunkelheit, die mir nicht erlaubte, irgendwelche Farben wahrzunehmen. Sofort wurde mein Interesse von einer riesigen Lagune der Helligkeit, rechts vor mir in Augenhöhe, angezogen. Ich folgerte, mehr als daß ich es wahrgenommen hätte, daß es die Straßenlaterne war, denn ich wußte, daß sich rechts an der Ecke eine befand, sieben Meter über dem Boden. Jetzt erkannte ich, daß ich meine Wahrnehmungen nicht mehr räumlich ordnen konnte, wie man es tun muß, um oben oder unten, hier oder dort zu unterscheiden. Alles schien außerordentlich gegenwärtig. Ich verfügte über keinen Mechanismus - wie man ihn im gewöhnlichen Leben hat -, um meine Wahrnehmungen zu arrangieren und ein Ordnungsschema zu entwickeln, das es mir über eine Reihe von Prioritäten erlaubt hätte zu entscheiden, welche Wahrnehmungen sich im Vordergrund befanden und welche nicht. Alles befand sich zugleich im Vordergrund, und ich hatte nicht die Willenskraft, mir durch eine entsprechende Prüfung einen Überblick zu verschaffen.
    So blieb ich verwirrt auf der Straße stehen, bis ich das Gefühl hatte zu schweben. Ich hielt mich an dem Stahlmasten fest, der die Lampe und das Straßenschild an der Ecke trug. Ein starker Windstoß hob mich empor. Ich glitt den Masten hinauf, bis ich den Straßennamen klar erkennen konnte: Asthon Road.
    Monate später, als ich wieder einmal in einem »Traum« meinen schlafenden Körper erblickte, wußte ich bereits eine Folge von Dingen zu tun. Bei meinem regelmäßigen »Träumen« hatte ich gelernt, daß es in diesem Zustand einzig auf die Willenskraft ankam; die physische Realität des Körpers war bedeutungslos. Er ist lediglich eine Erinnerung, die den Träumer bremst. Ich glitt ohne zu zögern aus dem Zimmer, denn nun brauchte ich nicht mehr die entsprechenden Bewegungen auszuführen, um eine Tür zu öffnen, oder zu gehen, um mich fortzubewegen. Der Flur und die Treppe waren nicht mehr so riesig, wie sie mir beim erstenmal erschienen waren. Ich glitt mit großer Leichtigkeit hindurch und gelangte schließlich auf die Straße, wo ich mich zwang, mich drei Häuserblocks weiterzubewegen. Es wurde mir bewußt, daß die Lampen noch immer einen sehr beunruhigenden Anblick boten. Ich konzentrierte meine Aufmerksamkeit auf sie, da wurden sie Lichtseen von unermeßlichem Umfang. Die übrigen Elemente dieses »Traumes« waren leicht zu kontrollieren. Die Gebäude waren ungewöhnlich groß, doch ihre äußeren Merkmale waren mir vertraut. Ich überlegte, was ich tun sollte. Und jetzt wurde mir ganz beiläufig klar, daß ich, wenn ich die Dinge nicht »anstarrte«, sondern nur flüchtig hinschaute, wie wir es im täglichen Leben tun, meine Wahrnehmungen ordnen konnte. Mit anderen Worten, ich befolgte Don Juans Anweisungen wortgetreu und nahm mein »Träumen« wie selbstverständlich hin. Jetzt konnte ich die Wahrnehmungsurteile meines täglichen Lebens anwenden. Nach einer Weile wurde die Szenerie wenn schon nicht gänzlich vertraut, so doch kontrollierbar.
    Das nächste Mal, als ich ein ähnliches »Träumen« erlebte, ging ich in mein Lieblingscafé an der Straßenecke. Ich entschied mich deshalb dafür, weil ich immer in den ersten Morgenstunden dort einzukehren pflegte. In meinem »Träumen« sah ich die vertraute Kellnerin, die die Lumpensammlerschicht versah. Ich sah eine Reihe von Männern an der Theke stehen und essen, und ganz am Ende der Theke sah ich einen merkwürdigen Typ, einen Mann, den ich beinahe jeden Tag ziellos über den Campus der University of California schlendern sah. Er war der einzige, der mich wirklich ansah. Im gleichen Augenblick, als ich eintrat, schien er mich zu spüren. drehte sich um und starrte mich an.
    Den gleichen Mann traf ich im

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