Die Kunst des Pirschens
hatte. Sie sei auch überzeugt, so fügte sie an, daß ich wisse, daß ich Silvio Manuels Gehilfe gewesen sei, daß ich es aber nicht wagte, den anderen dies zu erzählen.
Augenblicklich packte eine unbeherrschbare Wut meinen Körper. Ich meinte, daß es la Gorda nicht zustand, solche Bemerkungen zu machen oder solche Gefühle zu haben. Ich packte sie am Haar und wirbelte sie herum. Auf dem Höhepunkt meines Wutausbruchs fing ich mich wieder und hielt inne. Ich entschuldigte mich und umarmte sie. Dann kam mir ein vernünftiger Gedanke zu Hilfe. Ich sagte ihr, daß, meine Rolle als Führer an meinen Nerven zehre; die Spannung würde immer unerträglicher, je weiter wir vorankämen. Sie wollte mir nicht beipflichten.
Sie blieb fest bei ihrer Auffassung, daß Silvio Manuel und ich uns ganz nahe stünden und daß ich nur auf die Erinnerung an meinen Meister mit solcher Wut reagiert hätte; es sei ein Glück, so sagte sie, daß sie meiner Obhut anvertraut war, denn sonst hätte ich sie wahrscheinlich von der Brücke geworfen.
Wir wandten uns um. Die anderen hatten sich von der Brücke in Sicherheit gebracht und starrten uns mit unverkennbarer Furcht entgegen. Es schien, als herrschte ein ganz seltsamer Zustand der Zeitlosigkeit. Andere Leute waren nicht in der Nähe. Wir mußten uns mindestens fünf Minuten auf dieser Brücke aufgehalten haben, und während dieser ganzen Zeit hatte nicht ein Mensch sie überquert oder sich auch nur sehen lassen. Dann auf einmal waren wir von Menschen umgeben, wie es an jedem solchen Übergang während der Geschäftszeit der Fall gewesen wäre.
Ohne ein weiteres Wort gingen wir zur Plaza zurück. Wir waren gefährlich schwach. Ich hatte den unbestimmten Wunsch, noch ein wenig länger in der Stadt zu bleiben. Aber wir setzten uns ins Auto und fuhren nach Osten, der Atlantikküste entgegen. Nestor und ich wechselten uns am Steuer ab und machten nur halt, um zu tanken oder zu essen, bis wir schließlich Vera Cruz erreichten. Diese Stadt war für uns neutraler Boden. Ich war erst einmal hier gewesen; von den anderen noch niemand. La Gorda glaubte, eine solche unbekannte Stadt sei der geeignete Ort, um ihre alten Hüllen abzuwerfen. Wir mieteten uns in einem Hotel ein, und dort fingen sie an, ihre alten Kleider in Fetzen zu reißen. Die Erregung einer neuen Stadt wirkte Wunder für ihre Moral und ihr allgemeines Wohlbefinden.
Unsere nächste Station war Mexico City. Wir bezogen ein Hotel am Alameda Park, wo Don Juan und ich einmal gewohnt hatten. Zwei Tage lang waren wir die perfekten Touristen. Wir gingen einkaufen und besichtigten so viele Touristenattraktionen wie nur möglich. Die Frauen sahen einfach verblüffend aus. Benigno kaufte bei einem Pfandleiher eine Kamera. Er machte vierhundertfünfundzwanzig Schnappschüsse ohne Film. Einmal, als wir gerade die großartigen Wandmosaiken bewunderten, fragte ein Sicherheitsbeamter mich, woher jene prachtvollen Ausländerinnen stammten. Er nahm wohl an, ich sei ein Fremdenführer. Ich sagte ihm, sie seien aus Sri Lanka. Er glaubte mir und wunderte sich über die Tatsache, daß sie beinahe mexikanisch aussahen.
Am folgenden Tag, um zehn Uhr morgens, standen wir vor dem Stadtbüro der Fluggesellschaft, in das Don Juan mich einmal gestoßen hatte. Nachdem er mir einen Stoß versetzt hatte, war ich durch die eine Tür hineingestolpert und zu einer anderen wieder hinaus, aber nicht auf die Straße, wie es eigentlich hätte sein müssen, sondern auf einen Marktplatz, mindestens eine Meile entfernt, wo ich das Tun und Treiben der Leute beobachtet hatte.
La Gorda sprach die Vermutung aus, daß dieses Flugbüro, ähnlich wie jene Brücke, ein Platz der Kraft sein könnte, eine Pforte, durch die man von einer der parallelen Linien zur anderen überwechseln könne. Offensichtlich, so meinte sie, habe der Nagual mich durch diese Öffnung gestoßen, aber ich sei auf halbem Weg zwischen den beiden Welten, zwischen den Linien, hängengeblieben, und darum hätte ich das Treiben auf dem Markt beobachtet, ohne selbst daran teilzunehmen. Der Nagual, so sagte sie, habe natürlich die Absicht gehabt, mich ganz hinüberzustoßen, aber meine Eigenwilligkeit habe diese Absicht vereitelt und ich sei wieder auf der Linie angelangt, von der ich ausgegangen war, nämlich auf dieser Welt.
Wir gingen vom Flugbüro zum Marktplatz und von dort zum Alameda Park, wo Don Juan und ich nach jenem damaligen Erlebnis auf einer Bank gesessen hatten. In diesem Park war ich oft
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