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Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Frauen, Lydia?« fragte ich.
    »Ich war dort, als sie dort waren, mehr weiß ich nicht«, wiederholte sie.
    »Und wie ist es mit dir, Gorda?« fragte ich.
    »Ich sagte dir schon, daß ich mich nicht an die Gesichter oder an irgend etwas Besonderes erinnern kann«, sagte sie. »Aber eines weiß ich: Was immer wir in diesem Haus taten, es geschah auf der linken Seite. Wir überquerten - oder irgend jemand ließ uns die parallelen Linien überqueren. Die unheimlichen Erinnerungen, die wir haben, stammen aus jener Zeit, aus jener Welt.«
    Ohne uns abzusprechen, verließen wir die Plaza und machten uns auf den Weg zur Brücke. La Gorda und Lydia liefen voraus. Als wir ankamen, sahen wir sie genau an der Stelle stehen, wo wir selbst vorhin stehengeblieben waren.
    »Silvio Manuel ist dort in der Dunkelheit«, flüsterte la Gorda mir zu, und ihre Augen waren starr auf das andere Ende der Brücke fixiert.
    Lydia zitterte. Auch sie versuchte zu sprechen. Ich konnte nicht verstehen, was sie mir sagen wollte.
    Ich zog sie alle von der Brücke fort. Ich dachte, vielleicht könnten wir zusammenfügen, was wir über diesen Ort wußten, und so zu einem Gesamtbild gelangen, das uns helfen würde, unser Dilemma zu verstehen.
    Ein paar Meter von der Brücke entfernt setzten wir uns auf die Erde. Um uns her liefen viele Menschen, aber niemand schenkte uns Beachtung.
    »Wer ist Silvio Manuel, Gorda?« fragte ich.
    »Ich habe seinen Namen bis heute noch nie gehört«, sagte sie. Ich kenne den Mann nicht, und doch kenne ich ihn. Irgendwie überlief es mich wie in Wellen, als ich diesen Namen hörte. Von diesem Augenblick an kamen mir die seltsamsten Dinge in den Sinn und von den Lippen, genau wie bei Josefina. Ich hätte nie geglaubt, daß ich eines Tages so sein würde wie Josefina.«
    »Warum sagtest du, daß Silvio Manuel in der Dunkelheit ist?« fragte ich.
    »Ich habe keine Ahnung«, sagte sie. »Und doch wissen wir alle, daß es die Wahrheit ist.«
    Sie drängte die anderen Frauen, ihre Meinung zu sagen. Niemand sprach ein Wort. Ich fiel über Rosa her. Drei- oder viermal hatte es den Anschein gehabt, als wolle sie etwas sagen. Ich beschuldigte sie, uns etwas vorzuenthalten. Ihr kleiner Körper verkrampfte sich.
    »Wir überquerten diese Brücke, und Silvio Manuel erwartete uns am anderen Ende«, sagte sie mit kaum hörbarer Stimme. »Ich ging als letzte. Als er die anderen verschlang, hörte ich ihre Schreie. Ich wollte weglaufen, aber der Teufel Silvio Manuel war an beiden Enden der Brücke.
    Es war unmöglich zu entkommen. «
    La Gorda, Lydia und Josefina pflichteten ihr bei. Ich fragte, ob dies nur ein Gefühl sei, das sie gerade hatten, oder eine tatsächliche momentane Erinnerung an etwas Reales. La Gorda meinte, bei ihr sei es genauso gewesen, wie Rosa es geschildert hatte, nämlich eine momentane Erinnerung. Die beiden anderen stimmten ihr zu.
    Ich spekulierte laut darüber, was mit den Leuten geschehen sein mochte, die bei dieser Brücke lebten. Wenn die Frauen, wie Rosa sagte, laut geschrien hatten, dann mußten die Passanten sie doch gehört haben; das Geschrei hätte einen Auflauf verursachen müssen. Einen Augenblick hatte ich das Gefühl, daß diese ganze Stadt in irgendeiner Verschwörung zusammenwirkte. Ein Frösteln lief mir durch den Körper. Ich wandte mich an Nestor und offenbarte ihm ohne Umschweife das volle Maß meiner Angst.
    Nestor sagte, der Nagual Juan Matus und Don Genaro seien tatsächlich Krieger von höchster Vollendung gewesen, und als solche waren sie Einzelwesen. Sie hätten nur direkte, wechselseitige Kontakte mit anderen Menschen gehabt. Es sei ganz ausgeschlossen, daß die ganze Stadt, oder auch nur die Leute, die an der Brücke wohnten, mit ihnen zusammenwirkten.
    Um dies tun zu können, sagte Nestor, hätten alle diese Leute Krieger sein müssen, was eine höchst unwahrscheinliche Möglichkeit war.
    Josefina begann mich zu umkreisen, wobei sie mich höhnisch von oben bis unten musterte.
    »Du hast wohl eine Frechheit«, sagte sie. »Du tust so, als wüßtest du nichts, wo du doch selber hier gewesen bist. Du hast uns hergebracht! Du hast uns über diese Brücke gestoßen!«
    Die, Blicke der Frauen wurden ganz bedrohlich. Ich wandte mich hilfesuchend an Nestor.
    »Ich kann mich an nichts erinnern«, sagte er. »Dieser Platz macht mir Angst, das ist alles, was ich weiß.«
    Daß ich mich an Nestor gewandt hatte, war ein kluger Schachzug von mir. Jetzt stürzten sich die Frauen auf

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