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Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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mit Don Juan gewesen. Ich fand, es war der geeignetste Ort, um über unsere zukünftigen Schritte zu sprechen.
    Meine Absicht war, alles, was wir bis dahin getan hatten, zusammenzufassen und die Kraft dieses Platzes entscheiden zu lassen, was wir als nächstes tun sollten. Nach unserem Versuch, die Brücke zu überqueren, hatte ich vergeblich über eine Möglichkeit nachgedacht, die anderen als Gruppe zusammenzufassen. Wir setzten uns auf eine Steintreppe, und ich eröffnete das Gespräch mit der Vorstellung, daß Wissen für mich wesentlich eine Sache der Sprache sei. Ich sagte ihnen, es sei meine ernsthafte Überzeugung, daß ein Ereignis oder eine Erfahrung, wenn man sie nicht durch einen Begriff formulieren könne, sich zwangsläufig verflüchtigen mußten; daher bat ich sie, jeden einzelnen, um ihre Meinung über unsere Situation.
    Pablito sprach als erster. Ich fand es merkwürdig, denn er war die ganze Zeit ungewöhnlich still gewesen. Er entschuldigte sich, weil das, was er sagen wollte, sich nicht auf irgendwelche Tatsachen bezog, an die er sich erinnerte oder die er fühlte, sondern vielmehr eine Schlussfolgerung war, beruhend auf allem, was er bis dahin wußte. Für ihn, so sagte er, sei es kein Problem zu verstehen, was, wie die Frauen sagten, auf jener Brücke passiert sein sollte. Es gehe vielmehr darum, so behauptete Pablito, daß sie von der rechten Seite, dem Tonal, zur linken Seite, dem Nagual, überwechseln mußten. Was ihnen allen Angst gemacht hätte, sei die Tatsache, daß ein anderer den Hebel in der Hand hatte und das Überwechseln erzwang. Für ihn war es auch kein Problem zu akzeptieren, daß ich es gewesen war, der damals Silvio Manuel half. Er unterstrich seine Schlußfolgerung mit dem Hinweis auf die Tatsache, daß er erst vor zwei Tagen gesehen hatte, wie ich genau dies machte: nämlich sie alle auf die Brücke stoßen.
    Diesmal aber wäre auf der anderen Seite niemand gewesen, um mir zu helfen; kein Silvio Manuel, der sie herübergezogen hätte.
    Ich versuchte das Thema zu wechseln und begann ihnen allen zu erklären, daß ein Vergessen, wie wir es erlebt hatten, wissenschaftlich als Amnesie bezeichnet würde. Das wenige, was ich über die Amnesie wußte, genügte nicht, um etwas Licht in unseren Fall zu bringen, aber es genügte doch, um mich zu der Überzeugung zu führen, daß wir nicht wie auf Kommando vergessen konnten Irgend jemand, so sagte ich ihnen, möglicherweise Don Juan, mußte etwas Unbeschreibliches mit uns angestellt haben. Ich wollte genau herausfinden, was es gewesen war.
    Pablito beharrte darauf, ich müsse unbedingt einsehen, daß ich selbst es gewesen war, der mit Silvio Manuel Hand in Hand arbeitete. Dann vertraute er mir an, daß Lydia und Josefina ihm erzählt hätten, welche Rolle ich angeblich gespielt hatte, als sie gezwungen wurden, die parallelen Linien zu überschreiten.
    Mir war es nicht angenehm, dieses Thema zu erörtern. Ich wandte ein, ich hätte noch nie etwas von den parallelen Linien gehört, bis zu dem Tag, als ich mit Dona Soledad sprach, und doch hätte ich keine Bedenken gehabt, das Wort sofort in meinen Wortschatz zu übernehmen. Ich erzählte ihnen, mir sei blitzartig klargeworden, was sie damit meinte. Ich wäre sogar davon überzeugt, so sagte ich, selbst die Linien überschritten zu haben, wenn ich mich an Dona Soledad erinnerte. Alle anderen, bis auf la Gorda, sagten, sie hätten die parallelen Linien zum erstenmal von mir erwähnen gehört. La Gorda sagte, sie habe von Dona Soledad davon erfahren, kurz bevor ich es von ihr hörte.
    Pablito machte einen Versuch, meine Beziehung zu Silvio Manuel zu erörtern. Ich unterbrach ihn. Während wir auf dieser Brücke standen, so sagte ich, und auch auf dem Weg nach Mexico City hätte ich nicht bemerkt, daß ich - und wahrscheinlich auch sie alle - in einen Zustand der anderen Realität geraten war. Ich wurde der Veränderung erst gewahr, als ich merkte, daß sich keine anderen Menschen auf der Brücke befanden. Nur wir acht hatten dort gestanden. Es war ein klarer Tag gewesen, aber plötzlich hatte der Himmel sich bewölkt, und das helle Morgenlicht war einer Dämmerung gewichen. Ich war damals von meinen Befürchtungen und individualistischen Interpretationen so sehr in Anspruch genommen, daß ich die unheimliche Veränderung gar nicht bemerkte. Als wir uns von der Brücke zurückzogen, nahm ich wahr, daß wieder andere Menschen umhergingen. Was aber war mit ihnen während der Zeit geschehen, als

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