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Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Jahre, die ich mit Don Juan in Verbindung stand, eine stetige Abnahme meiner persönlichen Bindungen an die Welt erfahren, doch diese Abnahme hatte nur auf intellektueller Ebene stattgefunden; in meinem alltäglichen Leben blieb ich unverändert bis zu dem Augenblick, als ich meine menschliche Form verlor.
    Ich spekulierte mit la Gorda darüber, daß die Vorstellung, die menschliche Form zu verlieren, wohl eine Bezeichnung jenes körperlichen Zustands sei, der den Lehrling befällt, nachdem er im Verlauf seiner Schulung eine gewisse Schwelle erreicht hat. Sei dem, wie es mag, die endliche Folge des Verlierens der menschlichen Form war für la Gorda wie für mich seltsamerweise nicht nur dieses angestrebte und begehrte Gefühl des Losgelöstseins, sondern auch die Erfüllung unserer undefinierbaren Aufgabe des Erinnerns. Und auch in diesem Fall spielte der Intellekt nur eine minimale Rolle.
    Eines Abends sprachen la Gorda und ich über einen Film. Sie hatte sich einen erotischen Film angesehen, und ich war neugierig, ihr Urteil darüber zu hören.
    Er hatte ihr gar nicht gefallen. Sie behauptete, es sei ein schwächendes Erlebnis gewesen, denn ein Krieger zu sein, setze voraus, daß man ein enthaltsames Leben in strikter Keuschheit führe, wie der Nagual Juan Matus es getan hatte.
    Ich sagte ihr, ich wisse genau, daß Don Juan die Frauen geliebt hatte und keineswegs keusch war, und daß ich dies erfreulich fände.
    »Du bist verrückt! « rief sie mit einem belustigten Unterton in der Stimme. »Der Nagual war ein vollkommener Krieger. Er war nicht in irgendwelche Netze der Sinnlichkeit verstrickt.«
    Sie wollte wissen, warum ich meinte, daß Don Juan nicht keusch gewesen sei. Ich erzählte ihr von einem Ereignis, das sich gleich am Anfang meiner Lehrzeit in Arizona zugetragen hatte. Ich war in Don Juans Haus und ruhte mich aus, einen Tag nachdem wir von einer anstrengenden Wanderung zurückgekehrt waren. Don Juan erschien mir seltsam nervös. Immer wieder stand er auf und spähte aus der Tür. Er schien auf jemanden zu warten. Dann sagte er mir ganz unvermittelt, daß ein Auto gerade um die Kurve gebogen sei und auf das Haus zugefahren komme. Er sagte, es sei ein Mädchen, eine alte Freundin von ihm, die ihm ein paar Decken bringen wolle. Noch niemals hatte ich Don Juan verlegen gesehen, und es tat mir furchtbar leid, ihn so unruhig zu erleben, daß er nicht mehr wußte, was er tat. Ich dachte, er wünsche nicht, daß ich das Mädchen kennenlernte; als er mir dies sagte, stotterte er beinahe. Ich schlug vor, ich könnte mich verstecken, aber im ganzen Zimmer gab es keinen Platz, wo ich mich hätte verstecken können, und daher hieß er mich auf den Boden niederliegen und deckte mich mit einer Strohmatte zu. Ich hörte, wie draußen der Motor abgestellt wurde, und dann sah ich durch die Schlitze in der Strohmatte ein Mädchen vor der Tür stehen. Sie war groß, schlank und sehr jung. Ich fand sie schön. Don Juan sagte irgend etwas zu ihr, mit einer leisen, vertraulichen Stimme. Dann drehte er sich um und deutete auf mich.
    »Carlos versteckt sich dort unter der Matte«, sagte er mit lauter, klarer Stimme zu dem Mädchen. »Sag ihm doch Hallo.«
    Das Mädchen winkte mir zu und sagte mit dem freundlichsten Lächeln Hallo. Ich kam mir blöde vor und ärgerte mich über Don Juan, weil er mich in diese peinliche Lage gebracht hatte. Ich hatte den Eindruck, als versuche er auf diese Weise seine Nervosität zu bekämpfen, oder schlimmer noch, als wolle er vor mir prahlen.
    Als das Mädchen fort war, bat ich ihn wütend um eine Erklärung. Er sagte aufrichtig, er habe sich hinreißen lassen, weil meine Füße unter der Matte hervorlugten und er sich anders nicht zu helfen gewußt hätte. Als ich dies hörte, wurde mir sein Manöver klar. Er hatte vor mir mit seiner jungen Freundin prahlen wollen. Es war ganz unmöglich, daß meine Füße hervorlugten, weil ich sie unter die angewinkelten Schenkel gezogen hatte. Ich lachte wissend, und Don Juan fühlte sich verpflichtet, mir zu erklären, daß er die Frauen liebe, besonders dieses Mädchen.
    Diesen Zwischenfall hatte ich nie vergessen. Don Juan sprach niemals darüber. Wenn ich davon anfangen wollte, gebot er mir immer Einhalt. Diese junge Frau beschäftigte mich beinahe zwanghaft. Ich spielte mit der Hoffnung, sie würde eines Tages, nachdem sie meine Bücher gelesen hätte, bei mir auftauchen.
    La Gorda war inzwischen sehr erregt. Während ich redete, schritt sie im Zimmer

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