Die Kunst des Pirschens
Gordas Worten. In meinem Magen spürte ich eine Leere. Ich war überzeugt gewesen, daß ich unter allen Umständen auf ihre Unterstützung zählen konnte. Ich fühlte mich verraten. Ich glaubte, es wäre angebracht, sie von meinen Gefühlen in Kenntnis zu setzen, aber ein gewisser nüchterner Sinn kam mir zu Hilfe. Statt dessen sagte ich ihnen, es sei meine leidenschaftslose Überzeugung als Krieger, daß Don Juan die Richtung meines Lebens zum Besseren gewendet habe. Ich hätte immer wieder Bilanz gezogen, was er für mich getan hatte, und dabei sei ich immer zu dem gleichen Schluß gelangt. Er habe mir die Freiheit gebracht. Die Freiheit sei das einzige, wovon ich wisse; das einzige, das ich jemandem, der zu mir käme, weitergeben könne.
Nestor drückte mir durch eine Geste seine Solidarität aus. Er ermahnte die Frauen, ihre Feindseligkeit gegen mich aufzugeben. Er sah mich mit den Augen eines Menschen an, der nicht versteht, aber verstehen will. Er sagte, daß ich nicht zu ihnen gehörte, daß ich wirklich ein einsamer Vogel sei. Sie hätten mich in einem gewissen Moment gebraucht, um ihre Grenzen der Liebe und der Routine zu zerbrechen. Jetzt, da sie frei wären, sei nur der Himmel ihre Grenze.
Mit mir zusammenzubleiben, wäre zweifellos eine angenehme Aussicht, aber tödlich für sie.
Er schien tief bewegt. Er kam an meine Seite und legte mir die Hand auf die Schulter. Er sagte, er habe das Gefühl, daß wir uns auf dieser Erde nie wiedersehen würden. Er bedauerte, daß wir im Begriff stünden, auseinander zugehen wie kleinmütige Menschen, unter Gezänk, Klagen und Vorwürfen. Er sagte, daß er nicht für sich selbst, sondern im Namen der anderen sprechen wolle, wenn er mich nun bäte fortzugehen, denn wir hätten keine Chance zusammenzubleiben. Er setzte noch hinzu, er habe über la Gorda gelacht, als sie uns von der Schlange erzählte, die wir bildeten. Jetzt aber habe er seine Meinung geändert und fände die Idee nicht mehr so albern. Es sei tatsächlich unsere letzte Chance gewesen, als Gruppe zusammenzuwirken.
Don Juan hatte mich gelehrt, mein Schicksal in Demut zu akzeptieren.
»Die Richtung des Schicksals eines Kriegers ist unabänderlich«, hatte er einmal zu mir gesagt.
»Die Frage ist nur, wie weit er innerhalb dieser starren Grenzen gehen kann, wie makellos er innerhalb dieser starren Grenzen sein kann. Wenn Hindernisse auf seinem Weg liegen, dann strebt der Krieger makellos danach, sie zu überwinden. Wenn er auf seinem Weg unerträgliche Härten und Qualen findet, weint er, aber nicht einmal alle seine Tränen zusammengenommen könnten die Richtung seines Schicksals um Haaresbreite wandeln.«
Meine ursprüngliche Entscheidung, die Kraft dieses Platzes uns unseren nächsten Schritt weisen zu lassen, war richtig gewesen. Ich stand auf. Alle wandten den Kopf ab. La Gorda kam zu mir und sagte, als ob nichts geschehen wäre, daß ich aufbrechen solle und daß sie mich irgendwann später einholen und sich mir anschließen würde. Ich wollte erwidern, daß ich für sie keinen Grund sähe, sich mir anzuschließen. Denn sie hätte sich schon entschieden, sich den anderen anzuschließen. Es schien, als ahnte sie mein Gefühl, verraten worden zu sein. Ruhig versicherte sie mir, daß wir zusammen unser Schicksal als Krieger erfüllen müßten, und nicht als die kleinmütigen Menschen, die wir waren.
Zweiter Teil
DIE KUNST DES TRÄUMENS
6. Die menschliche Form verlieren
Einige Monate später, nachdem la Gorda allen anderen geholfen hatte, sich in verschiedenen Gegenden Mexicos niederzulassen, nahm sie ihren Wohnsitz in Arizona. Nun begannen wir den seltsamsten und überwältigendsten Teil unserer Lehrzeit zu erforschen. Anfangs war unsere Beziehung eher gespannt. Es fiel mir sehr schwer, die Art zu verwinden, wie unsere Gruppe im Alameda Park auseinandergegangen war. Obwohl la Gorda wußte, wo die anderen sich aufhielten und was sie machten, erwähnte sie mir gegenüber nie etwas darüber. Sie meinte, es wäre für mich überflüssig, etwas über ihr Tun und Treiben zu erfahren.
An der Oberfläche schien zwischen la Gorda und mir alles in Ordnung. Dennoch empfand ich ihr gegenüber einen bitteren Groll, weil sie sich gegen mich auf die Seite der anderen geschlagen hatte. Ich sprach dieses Gefühl nicht aus, aber es war immer da. Trotzdem half ich ihr und tat alles für sie, als ob nichts geschehen wäre. Dies aber fiel für mich unter die Rubrik »Makellosigkeit«. Es war meine Pflicht. Um
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