Die Kunst des Pirschens
auf und ab. Sie war den Tränen nahe. Ich stellte mir alle möglichen komplizierten Beziehungsnetze vor, die hier im Spiel sein mochten. Ich meinte, la Gorda sei besitzergreifend und reagiere wie eine Frau, die sich von einer anderen Frau bedroht fühlt.
»Bist du eifersüchtig, Gorda?« fragte ich.
»Sei nicht albern«, sagte sie böse. »Ich bin eine formlose Kriegerin. Es gibt keinen Neid und keine Eifersucht mehr in mir. «
Nun brachte ich etwas zur Sprache, was die Genaros mir einmal erzählt hatten, nämlich daß sie die Frau des Naguals gewesen sei. La Gordas Stimme war kaum noch vernehmbar.
»Ich glaube, das war ich«, sagte sie und setzte sich mit verschwommenem Blick auf ihr Bett.
»Ich habe so ein Gefühl, daß ich es war, auch wenn ich nicht weiß wie. In diesem Leben war der Nagual Juan Matus für mich genau das, was er für dich war. Er war kein Mann, er war der Nagual. Er hatte kein Interesse an Sex.«
Ich versicherte ihr, ich hätte selbst gehört, wie Don Juan sagte, daß er dieses Mädchen mochte.
»Sagte er, daß er Sex mit ihr hatte?« fragte la Gorda.
»Nein, das nicht, aber es war offensichtlich aus der Art und Weise, wie er mit ihr sprach.«
»Es würde dir gefallen, wenn der Nagual so wäre wie du, nicht wahr?« fragte sie verächtlich.
»Der Nagual war ein makelloser Krieger. «
Ich fand, daß ich recht hatte und meine Meinung nicht zu revidieren brauchte. Nur um la Gorda zu trösten, sagte ich, daß die junge Frau vielleicht Don Juans Lehrling gewesen sei, wenn schon nicht seine Geliebte.
Es entstand eine lange Pause. Was ich gesagt hatte, verwirrte mich auf einmal selbst. Bis zu diesem Augenblick hatte ich nie an eine solche Möglichkeit gedacht. Ich war in einem Vorurteil befangen und hatte mir keinen Spielraum zugestanden, um meine Meinung zu überprüfen.
La Gorda bat mich, die junge Frau zu beschreiben. Das konnte ich nicht. Ich hatte ihr Gesicht nicht richtig gesehen. Ich war zu verärgert, zu verlegen gewesen, um sie mir genau anzusehen.
Auch sie selbst schien von der Peinlichkeit der Situation betroffen und war rasch aus dem Haus gelaufen.
La Gorda sagte, sie habe - ohne irgendeinen logischen Grund das Gefühl, daß die junge Frau eine Schlüsselfigur im Leben des Nagual gewesen sei. Diese Feststellung führte uns in ein langes Gespräch über Don Juans Freunde, soweit wir sie kannten. Stundenlang bemühten wir uns, alle Informationen zusammenzutragen, die wir über seine Gefährten hatten. Ich erzählte ihr von den verschiedenen Gelegenheiten, als Don Juan mich mitgenommen hatte, um an Peyote-Zeremonien teilzunehmen. Ich schilderte ihr jeden einzelnen Teilnehmer. Sie riefen aber kein Wiedererkennen bei ihr hervor. Jetzt wurde mir klar, daß ich wahrscheinlich mehr Menschen kannte, die mit Don Juan zu tun gehabt hatten, als la Gorda. Aber irgend etwas, das ich gesagt hatte, veranlaßte sie, sich zu erinnern, daß sie einmal gesehen hatte, wie eine junge Frau den Nagual und Don Genaro in einem kleinen weißen Auto chauffierte. Die Frau ließ die beiden Männer vor la Gordas Haustür aussteigen, und sie starrte la Gorda einen Moment an, bevor sie wegfuhr. La Gorda hatte damals gemeint, die junge Frau habe den Nagual und Don Genaro als Anhalter mitgenommen. Jetzt erinnerte auch ich mich, daß ich damals bei Don Juan gerade rechtzeitig unter der Strohmatte hervorgeschlüpft war, um einen weißen Volkswagen wegfahren zu sehen.
Ich erwähnte noch einen weiteren Vorfall, der einen anderen von Don Juans Freunden betraf, einen Mann, der mir einmal auf dem Markt einer Stadt im Norden Mexikos Peyote-Pflanzen gegeben hatte. Auch er hatte mich jahrelang beschäftigt. Sein Name war Vicente. Als la Gorda diesen Namen hörte, reagierte ihr Körper, als wäre ein Nerv berührt worden. Ihre Stimme wurde schrill. Sie bat mich den Namen zu wiederholen und ihr den Mann zu beschreiben. Auch diesmal konnte ich keine genaue Beschreibung liefern. Ich hatte den Mann nur ein einziges Mal gesehen, nur einige Minuten lang, vor über zehn Jahren.
La Gorda und ich machten eine Zeit durch, in der wir beinahe wütend waren, nicht auf einander, sondern auf das, was uns gefangenhielt.
Der letzte Zwischenfall, der zur vollen Entfaltung unserer Erinnerung überleitete, ereignete sich eines Tages, als ich erkältet war und hohes Fieber hatte. Ich lag im Bett und dämmerte vor mich hin, während mir die Gedanken ziellos durch den Sinn schweiften. Den ganzen Tag war mir die Melodie eines alten
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