Die Kunst des Pirschens
Adler sich nicht um mich kümmert, dafür sorgen muß, daß meine Chancen, die Freiheit zu gewinnen, sich verbessern - womöglich durch die Hingabe meiner selbst.
Wie Don Juan sagte, unterschieden er und sein Wohltäter sich erheblich hinsichtlich des Zeitplans, nach dem sie Schutzbefohlene leiteten. Sein Wohltäter, so sagte Don Juan, war von strengem Wesen. Er führte mit eiserner Hand, und getreu seiner Überzeugung, daß es beim Adler nichts geschenkt gab, tat er niemals unmittelbar etwas für andere. Vielmehr half er allen, sich selbst zu helfen. Er glaubte, daß das Freiheitsgeschenk des Adlers keine Mitgift sei, sondern eine Chance, seine Chance zu nutzen.
Don Juan erkannte wohl die Methode seines Wohltäters als verdienstvoll an, war aber doch nicht damit einverstanden. Später, als er auf sich allein angewiesen war, sah er, daß damit kostbare Zeit vergeudet wurde. Ihm erschien es als vordringlicher, jeden einzelnen in eine bestimmte Situation zu stellen und ihn zu zwingen, diese zu akzeptieren, statt zu warten, bis er bereit wäre, von sich aus der Situation ins Auge zu blicken. Dies war seine Methode, die er bei mir und bei den anderen Lehrlingen anwandte.
Die Situation, in der dieser Unterschied in der Führung für Don Juan größte Bedeutung gewann, war die von der Regel vorgeschriebene Interaktion, die er mit den Kriegern seines Wohltäters hatte. Die Regel befahl, daß der Wohltäter für Don Juan zuerst eine Nagual-Frau und dann erst eine Gruppe von vier Frauen und vier Männern finden mußte, die seinen Kriegertrupp bilden sollten. Sein Wohltäter sah, daß Don Juan nicht genügend persönliche Kraft hatte, um die Verantwortung für eine Nagual-Frau zu übernehmen; er kehrte also die Reihenfolge um und bat die Frauen seiner eigenen Gruppe, zuerst die vier Frauen und dann die vier Männer für Don Juan zu finden.
Don Juan gestand mir, daß er von der Vorstellung einer solchen Umkehrung der Reihenfolge begeistert war. Er faßte die Sache so auf, als stünden diese Frauen ihm zur Verfügung, und dies bedeutete für ihn sexuelle Verfügung. Daß er solche Erwartungen seinem Wohltäter enthüllte, war sein Untergang. Denn dieser brachte Don Juan sofort mit den Männern und Frauen seines Trupps zusammen und ließ ihn allein mit ihnen interagieren.
Für Don Juan war die Begegnung mit diesen Kriegern eine echte Feuerprobe, nicht nur weil sie absichtlich rauh rücksichtslos mit ihm umgingen, sondern auch weil diese Begegnung ihrem Wesen nach ein Durchbruch sein soll.
Don Juan sagte, daß die Interaktion auf der linken Seite der Bewußtheit wie eine Oase sei und nicht stattfinden könne, solange nicht alle Beteiligten gemeinsam in diesem Zustand sind. Dies war auch der Grund, warum er uns nicht in die linksseitige Bewußtheit eintreten ließ, außer wenn es um die Interaktion mit seinen Kriegern ging. Das gleiche Verfahren hatte auch sein Wohltäter bei ihm eingehalten.
Don Juan gab mir einen kurzen Bericht über seine erste Begegnung mit den Mitgliedern der Gruppe seines Wohltäters. Er glaubte, ich könne seine Erfahrung vielleicht als Beispiel dafür werten, was mir bevorstand. Er sagte, die Welt seines Wohltäters sei von wunderbarer Ebenmäßigkeit gewesen. Die Mitglieder seines Trupps waren allesamt indianische Krieger aus allen Teilen Mexikos. Zu der Zeit, als er ihnen begegnete, lebten sie in einer entlegenen Bergregion im Süden Mexikos.
Als Don Juan bei ihrem Haus anlangte, traten ihm zwei ganz identische Frauen entgegen; die größten Indianerinnen, die er je gesehen hatte. Sie waren mürrisch und gehässig, hatten aber sehr angenehme Gesichter. Als er versuchte, zwischen ihnen zu gehen, drängten sie ihn zwischen ihren riesigen Bäuchen in die Enge, packten seine Arme und begannen ihn zusammenzuschlagen. Sie warfen ihn auf den Boden und setzten sich auf ihn, wobei sie ihm beinahe die Rippen eindrückten. Sie hielten ihn über zwölf Stunden lang bewegungslos fest, während sie improvisierte Verhandlungen mit seinem Wohltäter führten, der die ganze Nacht auf sie einreden mußte, bis sie endlich am frühen Vormittag bereit waren, Don Juan aufstehen zu lassen. Was ihm am meisten Angst machte, so sagte er, war die Entschlossenheit, die sich in den Augen dieser Frauen zeigte. Er glaubte schon, es sei um ihn geschehen und sie würden auf ihm hocken bleiben, bis er tot wäre, wie sie ihm angekündigt hatten.
Normalerweise wäre nun eine Wartepause bis zur Begegnung mit den nächsten Kriegern
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