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Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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angebracht gewesen, aber da sein Wohltäter die Absicht hatte, ihn mit ihnen allein zu lassen, wurde Don Juan sofort mit den anderen bekannt gemacht. Er lernte sie alle an ein und demselben Tag kennen, und alle behandelten sie ihn wie Dreck. Sie behaupteten, er sei nicht der geeignete Mann für den Job, er sei zu ungehobelt und viel zu blöde; jung, aber bereits senil geworden. Sein Wohltäter brachte die besten Argumente zu seiner Verteidigung vor; er sagte ihnen, daß sie in der Lage wären, diesen seinen Zustand zu ändern, und daß es für sie und für Don Juan die größte Freude bedeuten sollte, sich auf diese Herausforderung einzulassen.
    Don Juan sagte, sein erster Eindruck habe sich als richtig erwiesen. Denn von nun an gab es für ihn nur noch Mühe und Plage. Die Frauen sahen, daß Don Juan aufsässig war und daß ihm nicht zuzutrauen war, daß er die komplizierte, heikle Aufgabe, vier Frauen zu führen, erfüllen konnte.. Da sie selbst Sehende waren, entwickelten sie ihre eigenen individuellen Auslegungen der Regel und beschlossen, daß es für Don Juan nützlicher wäre, wenn er zuerst die vier männlichen Krieger und dann die vier weiblichen bekäme. Don Juan sagte, ihr Sehen habe sich als richtig erwiesen, denn um es mit Frauen aufzunehmen, müsse ein Nagual im Stande einer beispiellosen persönlichen Kraft sein, in einem Zustand der Überlegenheit und Selbstbeherrschung, in dem menschliche Gefühle nur noch eine minimale Rolle spielen ein Zustand, der damals für ihn unvorstellbar war.
    Sein Wohltäter unterstellte ihn der direkten Aufsicht seiner zwei westlichen Frauen, den wildesten und kompromisslosesten Kriegerinnen von allen. Don Juan sagte, daß alle westlichen Frauen der Regel zufolge - wahnsinnig seien und betreut werden müßten. Durch die Härten des Träumens und Pirschens verlieren sie ihre rechte Seite, ihren Verstand. Ihr Verstand brennt einfach aus, weil ihre linksseitige Bewußtheit so außerordentlich scharf ist. Sobald sie ihre vernünftige Seite verloren haben, sind sie unübertroffene Träumer und Pirscher, denn sie haben keinen rationalen Ballast mehr, der sie behindern könnte.
    Diese Frauen, so sagte Don Juan, heilten ihn von seiner Geilheit. Sechs Monate lang hing er - wie ein zum Räuchern aufgehängter Schinken - in einem Geschirr an der Decke ihrer bäuerlichen Küche, bis er gründlich von allen Gedanken an Gewinn und persönliche Befriedigung gereinigt war.
    Don Juan erklärte, ein Ledergeschirr sei ein hervorragendes Mittel, um gewisse Krankheiten zu heilen, die nicht physischer Art sind. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, daß die Aussichten einer echten Reinigung um so besser sind, je länger der Betreffende in der Schwebe hängt und je länger er - in der Luft hängend - daran gehindert wird, den Boden zu berühren.
    Während er von den westlichen Kriegerinnen gereinigt wurde, widmeten sich die übrigen Frauen der Aufgabe, die Männer und Frauen für seinen Trupp zu finden. Es dauerte Jahre, bis dies vollbracht war. Daher war Don Juan während dieser Zeit gezwungen, sich allein mit allen Kriegern seines Wohltäters auseinander zusetzen. Don Juan empfand die Gegenwart dieser Krieger und seinen Kontakt mit ihnen als so überwältigend, daß er glaubte, sich niemals von ihnen befreien zu können. Die Folge war sein totales und wortgetreues Befolgen der Regel. Don Juan sagte, er habe unwiederbringliche Zeit damit verbracht, über die Wahrheit eines wirklichen Durchgangs in die andere Welt nachzudenken. Solche Bedenken hielt er nun für Fallstricke, denen man um jeden Preis ausweichen müsse. Um mich davor zu bewahren, ließ er mich meine vorgeschriebene Interaktion mit den Mitgliedern seiner Gruppe absolvieren, während ich durch die Anwesenheit la Gordas oder eines anderen Lehrlings geschützt war.
    In meinem Fall war die Begegnung mit Don Juans Kriegern das Endresultat einer langen Entwicklung. In meinen alltäglichen Gesprächen mit Don Juan wurde keiner von ihnen jemals erwähnt. Ich wußte von ihrer Existenz nur durch die Regel, die er mir abschnittweise offenbarte.
    Später gab er zu, daß sie existierten und daß ich ihnen eines Tages begegnen müsse. Auf diese Begegnung bereitete er mich vor, indem er mir allgemeine Instruktionen und Hinweise gab.
    So warnte er mich etwa vor einem geläufigen Missverständnis, nämlich der Überschätzung der linksseitigen Bewußtheit, das heißt davor, sich durch ihre Klarheit und Kraft blenden zu lassen.
    Im Zustand der

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