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Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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schließlich, das wahre Wesen der Regel zu erfassen, und er akzeptierte sie total als einen Kodex praktischer Handlungsanweisungen, und nicht als Mythus. Von da an fiel es ihm nicht mehr schwer, mit der Realität der dritten Aufmerksamkeit umzugehen. Das einzige Hindernis auf seinem Weg rührte von seiner tiefen Überzeugung her, daß die Regel eine Landkarte sei, auf der er, wie er meinte, eine tatsächliche Öffnung in der Welt, einen Durchlass suchen müsse. Irgendwie war er unnötig auf der ersten Ebene der Entwicklung eines Kriegers stehengeblieben.
    Don Juans Bemühen als Führer und Lehrer zielte folglich darauf, den Lehrlingen, und besonders mir zu helfen, seinen eigenen Fehler zu vermeiden. Bei uns gelang es ihm, uns durch die drei Stadien der Entwicklung eines Kriegers zu geleiten, ohne eines von ihnen übermäßig zu betonen. Zuerst leitete er uns an, die Regel als eine Landkarte aufzufassen; dann leitete er uns an, zu begreifen, daß man eine überlegene Bewußtheit erreichen kann, eben weil es so etwas gibt; und schließlich geleitete er uns zu einem wirklichen Durchlass in jene andere verborgene Welt der Bewußtheit.
    Um uns durch das erste Stadium zu geleiten, nämlich zum Akzeptieren der Regel als Landkarte, zog Don Juan jenen Teil der Regel heran, der vom Nagual und seiner Aufgabe handelt, und zeigte uns, daß es dabei um zweifelsfreie Tatsachen geht. Dies gelang ihm, indem er uns, während wir uns im Zustand gesteigerter Bewußtheit befanden, eine uneingeschränkte Interaktion mit den Mitgliedern seiner Gruppe gewährte, die die lebenden Personifikationen der acht Menschen-Typen waren, wie die Regel sie beschreibt. In der Interaktion mit ihnen wurden uns komplexere und umfassendere Aspekte der Regel offenbart, bis wir zu erkennen vermochten, daß wir im Netz von etwas gefangen waren, das wir uns anfangs als einen Mythus vorgestellt hatten, das aber im wesentlichen eine Landkarte war.
    Don Juan sagte, in dieser Hinsicht sei seine eigene Entwicklung genauso verlaufen wie die unsere. Sein Wohltäter hatte ihm geholfen, dieses erste Stadium hinter sich zu bringen, indem er ihm die gleiche Art der Interaktion ermöglichte. Zu diesem Zweck ließ er ihn zwischen der rechten und der linken Seite der Bewußtheit hin und her wechseln, genau wie Don Juan es mit uns gemacht hatte. Auf der linken Seite machte er ihn mit den Mitgliedern seiner eigenen Gruppe bekannt, mit den acht weiblichen und drei männlichen Kriegern und den vier Kurieren, die alle, wie es der Vorschrift entspricht, die perfekten Beispiele der in der Regel beschriebenen Typen waren. Sie kennenzulernen und mit ihnen zu verkehren, hatte eine erschütternde Wirkung auf Don Juan. Nicht nur zwang es ihn, die Regel als wirklichen Führer zu begreifen, sondern es ließ ihn auch die Ungeheuerlichkeit unserer unbekannten Möglichkeiten erkennen.
    Er sagte, zu der Zeit, als alle Mitglieder seiner eigenen Gruppe versammelt waren, habe er sich schon so tief auf den Weg des Kriegers eingelassen gehabt, daß er es als selbstverständlich hinnahm, daß jene sich - ohne ersichtliches Zutun von irgendeiner Seite - als vollkommene Kopien der Krieger seines Wohltäters erwiesen. Die Ähnlichkeit ihrer persönlichen Vorlieben, Abneigungen, Bindungen und so fort war nicht das Produkt der Nachahmung. Don Juan sagte, daß sie, wie die Regel vorschrieb, bestimmtem Menschengruppen angehörten, die den gleichen Input und Output hatten. Die einzigen Unterschiede zwischen den Mitgliedern ein und derselben Gruppe seien ihre Stimmhöhe und der Klang ihres Lachens.
    Wenn Don Juan mir erklären wollte, welche Wirkung die Interaktion mit den Kriegern seines Wohltäters auf ihn gehabt hatte, erzählte er von dem sehr bedeutsamen Unterschied zwischen seinem Wohltäter und ihm selbst -hinsichtlich der Art, wie die beiden zu je eigenen Auslegungen der Regel gelangten und wie sie andere Krieger anleiteten und lehrten, sie als eine Landkarte aufzufassen. Er sagte, daß es zwei Arten von Auslegungen gebe, nämlich die allgemeinen und die individuellen. Allgemeine Auslegungen sind jene Sätze, die den Kodex der Regel bilden. Ein Beispiel wäre etwa die Aussage, daß der Adler sich nicht um die Taten des Menschen kümmert, und dennoch dem Menschen einen Durchlass zur Freiheit bietet. Eine individuelle Auslegung dagegen ist eine zeitbedingte Schlußfolgerung, zu der die Sehenden, ausgehend von den allgemeinen Auslegungen, gelangen. Ein Beispiel wäre der Satz, daß ich, gerade weil der

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