Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
Vom Netzwerk:
sie dies für gut befänden.
    Er brachte mich in eine Stadt in Zentralmexiko, zu einem Haus draußen auf dem Land. Als wir uns diesem zu Fuß aus südlicher Richtung näherten, sah ich zwei kräftige Indianerinnen, die sich im Abstand von vier Fuß gegenüberstanden. Sie waren etwa dreißig oder vierzig Fuß von der Haustür entfernt, an einer Stelle, wo die Erde festgestampft war. Die beiden Frauen waren ungewöhnlich muskulös und wirkten streng. Beide hatten langes jettschwarzes Haar, das in einen einzigen dicken Zopf zusammengefaßt war. Sie sahen wie Schwestern aus. Sie waren ungefähr von gleicher Größe und gleichem Gewicht. Ich schätzte, daß sie etwa 1,55 Meter groß waren und 150 Pfund wogen. Die eine war von sehr dunklem Teint, beinah schwarz, die andere war von viel hellerer Hautfarbe. Gekleidet waren sie wie typische Indianerfrauen aus Zentralmexiko - mit langen weiten Kleidern und handgemachten Sandalen.
    Don Juan befahl mir, drei Fuß von ihnen entfernt stehenzubleiben. Er wandte sich der einen Frau zu und hieß mich sie ansehen.
    Er sagte, sie heiße Cecilia und sei eine Träumerin. Ohne mir Zeit zu einer Bemerkung zu lassen, drehte er sich plötzlich um und befahl mir, die dunkle Frau zu unserer Rechten anzusehen. Er sagte, sie heiße Delia und sei eine Pirscherin. Die Frauen nickten mir zu. Sie lächelten nicht, auch machten sie weder Anstalten, mir die Hand zu reichen, noch eine andere Geste des Willkommens.
    Don Juan ging zwischen ihnen hindurch, als wären sie die zwei Pfosten einer Tür. Er ging ein paar Schritte weiter und drehte sich um, als warte er darauf, daß die Frauen mich aufforderten hindurchzugehen. Die Frauen starrten mich eine Weile unverwandt an. Dann bat Cecilia mich einzutreten, so als stünde ich vor der Schwelle einer wirklichen Tür.
    Don Juan ging vor mir her zum Haus. An der Haustür begegneten wir einem Mann. Er war sehr schlank. Auf den ersten Blick wirkte er sehr jung, aber bei genauerem Hinsehen zeigte es sich, daß er Ende fünfzig sein mochte. Er machte auf mich den Eindruck eines alten Kindes; klein, drahtig, mit stechenden dunklen Augen. Er war wie ein Elfengeist, ein Schatten. Don Juan stellte ihn mir als Emilito vor und sagte, er sei sein Kurier, sein Helfer und Gehilfe, der mich an seiner Stelle willkommen heißen würde.
    Ich hatte von Emilito den Eindruck, als sei er tatsächlich am besten geeignet, um jemanden willkommen zu heißen. Sein Lächeln war strahlend. Seine Zähne waren vollkommen ebenmäßig. Er schüttelte mir die Hand, oder vielmehr kreuzte er seine Unterarme und ergriff meine beiden Hände. Er schien Freude zu verströmen; jeder hätte geschworen, daß er begeistert war, mich kennenzulernen. Seine Stimme war sehr sanft und seine Augen funkelten.
    Wir traten in ein großes Zimmer. Dort war noch eine Frau. Don Juan sagte, sie heiße Teresa und sei Cecilias und Delias Kurier. Sie war etwa Anfang dreißig; sie sah eindeutig wie die Tochter Cecilias aus; sie war sehr still, aber sehr freundlich. Wir folgten Don Juan zur Rückseite des Hauses, wo sich eine überdachte Veranda befand. Es war ein warmer Tag. Dort setzten wir uns an einen Tisch und unterhielten uns nach einem frugalen Mahl bis nach Mitternacht.
    Emilito war der Gastgeber. Er bezauberte und beglückte jedermann mit seinen exotischen Erzählungen. Die Frauen wirkten gelöster. Sie waren großartige Zuhörerinnen für Emilito. Das Lachen der Frauen zu hören war ein köstliches Vergnügen. Sie waren ungemein muskulös, unerschrocken und stark. Irgendwann, als Emilito meinte, daß Cecilia und Delia wie zwei Mütter und Teresa wie eine Tochter zu ihm wären, hoben sie ihn hoch und warfen ihn wie ein Kind in die Luft.
    Eine der beiden Frauen, Delia, schien die vernünftigere, realistischere zu sein. Cecilia war vielleicht abgeklärter, schien aber mehr innere Kraft zu haben. Sie machte mir den Eindruck, als wäre sie intoleranter oder ungeduldiger. Bei einigen von Emilitos Geschichten schien sie sich zu langweilen, war aber sichtlich gespannt, als er anfing, seine - wie sie es nannte - »Geschichten von der Ewigkeit« zu erzählen. Er leitete seine Geschichten immer mit dem Satz ein: »Wisst ihr, liebe Freunde, daß ... ?« Die Geschichte, die mich am stärksten beeindruckte, handelte von gewissen Wesen, die, wie er sagte, im Universum existierten und die den Menschen ganz ähnlich wären, ohne Menschen zu sein; Wesen, die ganz besessen von der Bewegung und imstande seien, die leisesten

Weitere Kostenlose Bücher