Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kunst des Träumens

Die Kunst des Träumens

Titel: Die Kunst des Träumens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
Vom Netzwerk:
zurückgehalten.
    »Warum hast du solche Angst vor mir armem Weiblein?« fragte sie mich auf englisch. Ich blieb wie angewurzelt auf der Stelle, dort wo ich kniete. Was mich sofort und ganz für sie eingenommen hatte, war ihre Stimme. Ich kann gar nicht beschreiben, was es mit diesem heiseren Klang auf sich hatte, der die geheimsten Erinnerungen in mir wachrief. Es war. als hätte ich diese Stimme schon immer gekannt.
    Reglos blieb ich knien, hypnotisiert von diesem Klang. Sie fragte mich noch irgend etwas, wieder auf englisch, aber ich kam nicht dahinter, was sie sagte. Sie lächelte mir wissend zu. »Ist in Ordnung«, flüsterte sie auf spanisch. Sie kniete zu meiner Rechten. »Ich verstehe die wahre Angst. Ich lebe mit ihr.« Ich wollte schon etwas sagen zu ihr, als ich die Stimme des Botschafters in meinem Ohr hörte. »Es ist die Stimme Hermelindas. deiner Amme«, sagte sie. Das einzige, was ich von Hermelinda je erfahren habe, war die Geschichte, die man mir erzählte, wie sie bei einem Unfall ums Leben kam. überfahren von einem steuerlosen Lastwagen. Daß die Stimme der Frau so tiefe, alte Erinnerungen in mir wachrufen konnte, schockierte mich. Einen Moment spürte ich quälende Unruhe.
    »Ich bin deine Amme!«, rief die Frau leise. »Wie ungewöhnlich! Willst du meine Brust?« Sie bog sich vor Lachen. Mit aller Anstrengung versuchte ich ruhig zu bleiben, aber ich wußte, daß ich rasch an Boden verlor - und bald würde ich meinen Geist aufgeben.
    »Vergib mir meine Spaße«, sagte die Frau mit leiser Stimme. »Die Wahrheit ist, daß ich dich sehr gern habe. Du brodelst vor Energie. Und wir werden uns gut verstehen.«
    Zwei ältere Männer knieten direkt vor uns. Einer von ihnen drehte sich um und sah uns neugierig an. Sie achtete nicht auf ihn und flüsterte weiter in mein Ohr.
    »Laß mich deine Hand halten«, flehte sie. Doch ihr Flehen war wie ein Befehl. Ich überließ ihr meine Hand, unfähig, nein zu sagen. »Danke. Danke für deine Zuversicht, für dein Vertrauen zu mir«, flüsterte sie.
    Der Klang ihrer Stimme machte mich verrückt. Diese Heiserkeit war so exotisch, so außerordentlich weiblich. Unter keinen Umständen hätte ich sie für die Stimme eines Mannes gehalten, der sich als Frau verstellte. Es war eine heisere Stimme, aber nicht kehlig oder guttural. Es war eher wie das Geräusch nackter Füße, die leise über den Sand tappen. Mit äußerster Anstrengung versuchte ich den unsichtbaren Energieschirm zu durchbrechen, der mich einzuhüllen schien Mir war, als gelinge es mir. Ich stand auf. wollte gehen - und das hätte ich getan, wäre nicht die Frau ebenfalls aufgestanden, um mir ins Ohr zu flüstern: »Geh nicht fort. Ich habe dir so viel zu sagen.« Ich setzte mich automatisch wieder, festgehalten von meiner Neugier. Seltsamerweise war meine Angst auf einmal verschwunden, auch meine Beklommenheit. Ich hatte sogar genügend Geistesgegenwart, die Frau zu fragen: »Sind Sie wirklich eine Frau?« Sie kicherte leise, wie ein junges Mädchen Dann brachte sie einen gewundenen Satz hervor: »Falls du wagen solltest zu glauben, daß ich mich in einen fürchterlichen Mann verwandeln und dir ein Leid zufügen würde, bist du in schwerem Irrtum befangen«, sagte sie. mit noch stärkerer Modulation dieser seltsamen, hypnotischen Stimme. »Du bist mein Wohltäter. Ich bin deine Dienerin, wie ich die Dienerin all der Naguals war, die dir vorangegangen sind.« All meine Energie sammelnd, sprach ich zu ihr die Wahrheit: »Sei willkommen und nimm meine Energie«, sagte ich. »Sie ist ein Geschenk von mir an dich, aber ich möchte keine Kraftgeschenke von dir. Und das meine ich aufrichtig.«
    »Ich kann deine Energie nicht umsonst annehmen«, flüsterte sie.
    »Ich bezahle für das, was ich bekomme, so ist der Vertrag. Es ist närrisch von dir, deine Energie zu verschenken.«
    »Ich war mein Leben lang ein Narr. Glauben Sie mir«, sagte ich. »Und ich kann mir wohl leisten. Ihnen ein Geschenk zu machen. Das ist kein Problem für mich. Sie brauchen die Energie, also nehmen Sie sie. Aber ich will mich nicht mit unnötigen Dingen belasten. Ich besitze nichts, und es gefällt mir.«
    »Vielleicht«, sagte sie nachdenklich.
    Aggressiv fragte ich sie, ob sie meinte, sie würde vielleicht meine Energie annehmen, oder ob sie mir vielleicht nicht glaubte, daß ich nichts besaß und daß es mir gefiel.
    Sie kicherte vergnügt und sagte, vielleicht werde sie meine Energie annehmen, da ich sie ihr so großzügig

Weitere Kostenlose Bücher