Die Kunst des Träumens
bekomme.«
»Wie ist es, in anderen Welten zu existieren?« fragte ich. »Es ist wie dein Träumen, nur daß ich beweglicher bin. Und ich kann länger bleiben, wo ich will. Ganz so. als könntest du. so lange du willst, in deinen Träumen bleiben.«
»Wenn du in dieser Welt bist - bist du dann auf diese Gegend festgelegt?«
»Nein. Ich kann gehen, wohin ich will.«
»Kommst du immer als Frau?«
»Ich bin schon länger Frau, als ich Mann war. Eindeutig gefällt es mir besser. Ich habe beinah vergessen, glaub' ich. wie es ist. ein Mann zu sein. Ich bin ganz Frau!«
Sie nahm meine Hand und ließ mich ihre Leiste fühlen. Mein Herz pochte bis zum Hals hinauf. Sie war tatsächlich eine Frau.
»Ich kann nicht so einfach deine Energie annehmen«, sagte sie, das Thema wechselnd. »Wir müssen eine andere Vereinbarung treffen.«
Wieder überfielen mich Gedanken weltlicher Vernunft. Ich wollte sie fragen, wo sie lebte, wenn sie in dieser Welt war. Ich brauchte meine Frage nicht auszusprechen, um eine Antwort zu bekommen.
»Du bist viel, viel jünger als ich«, sagte sie. »und selbst dir fällt es schwer, den Leuten zu sagen, wo du lebst. Auch wenn du sie in das Haus führst, das dir gehört oder das du gemietet hast, ist es nicht dort, wo du lebst.«
»Es gäbe so vieles, was ich dich fragen will, und dabei denke ich nur dumme Gedanken«, sagte ich.
»Du brauchst mich gar nichts zu fragen«, fuhr sie fort. »Du weißt ja schon, was ich weiß. Was du noch brauchst, ist ein Anstoß, um dir anzueignen, was du schon weißt. Ich werde dir diesen Stoß versetzen.«
Nicht nur dachte ich dumme Gedanken, sondern ich war auch in einem so suggestiblen Zustand, daß ich. kaum hatte sie ihren Satz beendet, daß ich wüßte, was sie wisse, auch schon das Gefühl ..hatte, alles zu wissen, und keine Fragen mehr zu stellen brauchte. Lachend erzählte ich ihr von meiner Leichtgläubigkeit. »Du bist nicht leichtgläubig«, versicherte sie mir mit Nachdruck. »Du weißt alles, weil du jetzt ganz in der zweiten Aufmerksamkeit bist. Sieh dich um.«
Eine Weile konnte ich meinen Blick nicht zentrieren. Es war. als sei mir Wasser in die Augen geraten. Als ich wieder klar sehen konnte, erkannte ich. daß etwas Unheimliches geschehen war. Die Kirche war anders, dunkler, unheilvoller und irgendwie härter. Ich stand auf und tat ein paar Schritte ins Mittelschiff. Was mir gleich auffiel, waren die Betstühle. Sie waren nicht mehr aus Brettern, sondern aus knorrigen Ästen. Es waren handgemachte Betstühle, eingebaut in einen prächtigen steinernen Bau. Auch das Licht in der Kirche war anders. Es war gelblich, und sein trüber Glanz warf die schwärzesten Schatten, die ich je gesehen habe. Es kam von den Kerzen auf den vielen Altären. Mich überfiel die Einsicht, wie gut Kerzenlicht zu dem massiven Mauerwerk einer kolonialen Kirche paßte.
Die Frau starrte mich an; am erstaunlichsten war das Leuchten ihrer Augen. Ich wußte, daß ich mich in einem Traum befand und daß sie diesen Traum steuerte. Aber ich hatte keine Angst vor ihr oder dem Traum.
Ich trat vom Seitenaltar zurück und überblickte wieder das Hauptschiff. Dort knieten Menschen im Gebet. Viele waren es, sonderbar kleine, dunkelhäutige, harte Menschen. Ich sah ihre gesenkten Köpfe bis hinab zu den Stufen des Hauptaltars. Die wenigen in meiner Nähe starrten mich an, offenbar mißbilligend. Staunend sah ich sie an, und auch alles andere. Ich hörte aber keinerlei Geräusche. Menschen gingen umher, aber es war kein Ton zu hören.
»Ich kann nichts hören«, sagte ich zu der Frau - und meine Stimme dröhnte und hallte wider, als sei die Kirche eine hohle Muschelschale.
Fast alle Köpfe wandten sich um und sahen mich an. Die Frau zog mich zurück ins Dunkel des Seitenaltars.
»Du wirst hören, wenn du nicht mehr mit den Ohren lauschst«, sagte sie. »Lausche mit deiner Traum-Aufmerksamkeit.« Anscheinend brauchte ich nichts anderes als ihre Aufforderung. Plötzlich überflutete mich das summende Geräusch einer betenden Menschenmenge. Sofort fühlte ich mich erhoben. Ich fand es das köstlichste Geräusch, das ich je gehört hatte. Ich wollte der Frau davon vorschwärmen, aber sie war nicht mehr neben mir. Ich sah mich nach ihr um. Sie hatte schon fast das Portal erreicht. Dort drehte sie sich um und gab mir ein Zeichen, ihr zu folgen Im Portikus holte ich sie ein. Die Straßenlaternen waren verschwunden. Das einzige Licht kam vom Mond. Auch die Fassade der Kirche war anders.
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