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Die Kunst des Träumens

Die Kunst des Träumens

Titel: Die Kunst des Träumens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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meinen Ärger beherrschte, nicht in Panik geriet. Die Kontrolle zu behalten half mir zwar nicht, mich im Traum zu bewegen, aber es gab mir ein Gefühl tiefer Ruhe und Gelassenheit.
    Nach Monaten vergeblichen Bemühens, mich im Traum von der Stelle zu rühren, wandte ich mich wieder einmal an Don Juan. Diesmal wollte ich ihn nicht um Rat fragen, sondern meine Niederlage eingestehen. Ich stand vor einer unüberwindlichen Barriere, und ich wußte mit unbestreitbarer Gewissheit, daß ich versagt hatte.
    »Träumer müssen erfinderisch sein«, sagte Don Juan, boshaft grinsend. »Und erfinderisch bist du nicht. Ich habe dir nicht verraten, daß du deine Phantasie gebrauchen solltest, um deinen Energiekörper zu bewegen, denn ich wollte sehen, ob du das Rätsel selbst lösen könntest. Du konntest es nicht, und deine Freunde haben dir auch nicht geholfen.«
    In der Vergangenheit hatte ich mich stets genötigt gefühlt, mich entschieden zu rechtfertigen, wenn er mir mangelnde Phantasie vorwarf. Ich fand mich sehr phantasiebegabt. Jemanden wie Don Juan als Lehrer zu haben zwang mich aber einzusehen, daß ich es nicht bin. Weil ich nun meine Energie nicht auf vergebliche Rechtfertigungen verschwenden wollte, fragte ich lieber: »Was ist das für ein Rätsel, von dem du sprichst. Don Juan?«
    »Das Rätsel, wie unmöglich und doch wie leicht es ist, den Energiekörper zu bewegen. Du versuchst dich zu bewegen, als wärst du in deiner alltäglichen Welt. Das Laufenlernen kostet uns so viel Zeit und Mühe, daß wir nun glauben, auch unser Traumkörper solle auf zwei Beinen laufen. Es gibt aber keinen Grund, warum er dies tun sollte - außer daß wir uns nur diese Art zu laufen vorstellen können.«
    Ich staunte, wie einfach die Lösung war. Sofort wußte ich, daß Don Juan recht hatte. Wieder einmal war ich im Labyrinth meiner Interpretationen steckengeblieben. Don Juan hatte wohl gesagt, ich solle mich bewegen, sobald ich die dritte Pforte des Träumens erreicht hätte - und mich bewegen hieß für mich laufen. Ich sagte ihm, daß ich seine Überlegung verstand.
    »Es ist gar nicht meine Überlegung«, antwortete er knapp.
    »Es ist eine Überlegung der Zauberer. Die Zauberer sagen, daß der Energiekörper sich an der dritten Pforte bewegen kann, so wie Energie sich bewegt: schnell und direkt. Dein Energiekörper weiß genau, wie er sich bewegen soll. Er kann sich bewegen, wie er sich in der Welt der anorganischen Wesen bewegt. Und dies bringt uns zu der Frage, um die es hier eigentlich geht«, fügte Don Juan mit nachdenklichem Gesicht hinzu.
    »Warum haben deine anorganischen Freunde dir nicht geholfen?«
    »Warum nennst du sie meine Freunde. Don Juan?«
    »Ach, sie sind doch die klassischen Freunde - nicht direkt wohlgesinnt, aber auch nicht böse. Freunde, die nur darauf warten, daß wir uns umdrehen, damit sie uns einen Dolch in den Rücken stoßen können.«
    Ich verstand ihn genau und konnte ihm hundertprozentig zustimmen. »Aber warum gehe ich immer wieder hin? Ist es eine Selbstmordneigung?« fragte ich ihn, eher rhetorisch.
    »Du hast keinerlei Selbstmordneigung«, sagte er.
    »Was du hast, ist der völlige Zweifel daran, daß du dem Tod nahe warst. Weil du keine körperlichen Schmerzen hattest, bist du nicht recht überzeugt, daß du in Todesgefahr schwebtest.« Was er sagte, klang mir ganz vernünftig. Nur glaubte ich wirklich, daß eine tiefe, unergründliche Angst mein Leben beherrsche, seit ich diesen Zusammenstoß mit den anorganischen Wesen gehabt hatte. Don Juan lauschte schweigend, während ich ihm mein Dilemma schilderte. Meinen Drang, immer wieder in die Welt der anorganischen Wesen zurückzukehren, konnte ich nicht leugnen oder hinwegerklären, trotz allem, was ich über sie wußte. »Ich glaube, ich bin leicht verrückt«, sagte ich. »Was ich da mache, ist unbegreiflich.«
    »Wohl ist es begreiflich. Die anorganischen Wesen sind noch immer dabei, dich an Land zu ziehen - wie einen Fisch am Haken«, sagte er. »Von Zeit zu Zeit werfen sie dir wertlose Köder zu. um dich bei Laune zu halten. Dieses Schema zum Beispiel, daß deine Träume alle vier Tage wiederkehren, ist solch ein wertloser Köder. Aber sie haben dich nicht gelehrt, deinen Energiekörper zu bewegen.«
    »Warum, glaubst du, haben sie das nicht getan?«
    »Weil du, wenn dein Energiekörper lernen würde, sich zu bewegen, für sie nicht mehr erreichbar wärst. Es war voreilig von mir. anzunehmen, du hättest dich von ihnen befreit. Du bist

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