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Die Kunst des Träumens

Die Kunst des Träumens

Titel: Die Kunst des Träumens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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stellten sich nicht ein. Mir fehlte die nötige Kontrolle meiner Traum-Aufmerksamkeit, und ich konnte mich nicht an Einzelheiten meines Nachtgewandes erinnern. Doch etwas anderes war hier im Spiel: irgendwie wußte ich immer, ob meine Träume gewöhnliche Träume waren oder nicht. Solche Träume, die nicht nur gewöhnliche Träume waren, zeichneten sich dadurch aus, daß mein Körper schlafend im Bett lag, während mein Bewusstsein ihn beobachtete.
    Ein bemerkenswertes Merkmal solcher Träume war mein Zimmer. Nie war es mein Zimmer, wie in der Wirklichkeit des Alltags, sondern eine riesige leere Halle, an deren einem Ende mein Bett stand. Immer musste ich über eine ziemliche Distanz bis an mein Bett gleiten, wo mein Körper lag. War ich dort angekommen, dann ließ eine Kraft, wie ein Windhauch, mich über dem Bett schweben wie ein Kolibri. Manchmal verschwand das Zimmer auch ganz - Stück um Stück schwindend, bis nur noch mein Körper und das Bett übrig waren. Bei anderen Gelegenheiten erlebte ich den völligen Verlust meiner Willenskraft. Meine Traum- Aufmerksamkeit schien unabhängig von mir zu funktionieren. Entweder war sie ganz absorbiert vom erstbesten Gegenstand, den sie im Zimmer entdeckte, oder sie konnte nicht entscheiden, was nun zu tun sei. In solchen Fällen hatte ich das Gefühl, hilflos von Gegenstand zu Gegenstand zu schweben. Die Stimme des Traumbotschafters erklärte mir einmal, daß alle Elemente der Träume, und zwar solcher Träume, die nicht nur gewöhnliche Träume waren, tatsächlich energetische Konfigurationen seien, ganz verschieden von denen unserer Welt. Zum Beispiel machte der Botschafter mich darauf aufmerksam, daß die Wände flüssig wären. Er forderte mich auf, mich in eine hineinzustürzen.
    Ohne nachzudenken, hechtete ich in eine der Wände, als ob ich in einen See tauchte. Ich spürte die Wand, die sich wie Wasser verhielt, überhaupt nicht. Was ich empfand, war nicht das körperliche Gefühl, ins Wasser einzutauchen. Es war eher wie der Gedanke an einen Kopfsprung, so etwas wie die visuelle Empfindung, durch flüssige Materie hindurchzugehen. Ich tauchte kopfüber in etwas ein, das nachgab, wie Wasser es tut, während ich weiter abwärts schoß. Das Gefühl, kopfüber abwärtszuschießen, war so real, daß ich mich bereits fragte, wie lange oder wie tief oder wie weit ich tauchen würde. Aus meiner Sicht blieb ich eine ganze Ewigkeit dort. Ich sah Wolken und Massen steinerner Materie in einer wässrigen Substanz schweben. Da gab es leuchtende geometrische Figuren, die Kristallen glichen, und Flecken von intensivsten Primärfarben, wie ich sie nie gesehen habe. Es gab auch Zonen grellen Lichtes und andere von tiefer Schwärze. All dies zog an mir vorbei, langsam oder mit hoher Geschwindigkeit. Mir kam der Gedanke, ich sähe den ganzen Kosmos. Im selben Augenblick, als ich dies dachte, steigerte sich meine Geschwindigkeit so ungeheuer, daß alles wie verwischt erschien, und plötzlich fand ich mich wach liegen, und vor meiner Nase die Wand meines Zimmers.
    Eine heimliche Furcht zwang mich, Don Juan um Rat zu fragen. Er hörte aufmerksam zu, hing geradezu an meinen Lippen. »An diesem Punkt der Entwicklung mußt du einen drastischen Richtungswechsel vornehmen«, sagte er.
    »Der Traumbotschafter hat kein Recht, sich in deine Traumübungen einzumischen. Oder vielmehr, du solltest es ihm unter keinen Umständen erlauben.«
    »Wie kann ich ihn daran hindern?«
    »Da hilft ein einfaches, allerdings schwieriges Manöver. Beim Eintreten in das Träumen sollst du laut deinen Wunsch äußern, den Traumbotschafter nicht mehr bei dir zu haben.«
    »Heißt das, daß ich ihn nie wieder hören werde?«
    »Genau. Du wirst ihn für immer los sein.«
    »Aber ist es denn ratsam, ihn für immer loszuwerden?«
    »Ganz bestimmt, jedenfalls zu diesem Zeitpunkt.« Mit diesen Worten stürzte Don Juan mich in ein sehr beunruhigendes Dilemma. Ich wollte meine Beziehung zum Botschafter eigentlich nicht beenden, aber zugleich hatte ich den Wunsch.
    Don Juans Ratschlag zu folgen. Er bemerkte mein Zögern.
    »Ich weiß, es ist ein schwieriges Vorhaben«, gab er zu, »aber wenn du's nicht tust, werden die anorganischen Wesen immer einen Draht zu dir haben. Falls du dies vermeiden willst, tu nur, was ich gesagt habe, und tu es gleich.«
    Bei meiner nächsten Traumsitzung, während ich mich darauf vorbereitete, meine Absicht auszusprechen, unterbrach mich die Stimme des Botschafters. Sie sagte:
    »Wenn du

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