Die Kunst des Träumens
darauf verzichtest deinen Wunsch auszusprechen, verspreche ich dir. mich nie mehr in deine Traumübungen einzumischen und nur dann zu dir zu sprechen, wenn du mir direkte Fragen stellst.« Sofort akzeptierte ich den Vorschlag und glaubte aufrichtig, dies sei eine gute Abmachung. Ich war sogar erleichtert, daß die Sache so ausgegangen war. Ich fürchtete aber, daß Don Juan enttäuscht sein würde.
»Das war ein gutes Manöver«, bemerkte er lachend. »Du warst jedenfalls aufrichtig. Du hattest wirklich die Absicht, deinen Wunsch zu äußern. Aufrichtig zu sein ist alles, worauf es ankommt. Du hattest ja eigentlich nicht nötig, den Botschafter auszuschalten. Statt dessen konntest du ihn zwingen, eine andere, dir angenehme Möglichkeit vorzuschlagen. Ich bin überzeugt, der Botschafter wird sich nicht mehr einmischen.« Don Juan hatte recht. Ich konnte meine Traumübungen fortsetzen, ohne vom Botschafter belästigt zu werden. Die bemerkenswerte Folge war, daß ich nun Träume hatte, in denen die Zimmer im Traum meinem Zimmer in der alltäglichen Wirklichkeit entsprachen - mit einem Unterschied: in den Träumen war mein Zimmer stets so schief, so verzerrt, daß es aussah wie ein riesiges kubistisches Gemälde. Stumpfe und spitze Winkel herrschten vor. statt der normalen rechten Winkel von Wänden, Decke und Fußboden. In meinem schiefen Zimmer war die durch stumpfe und spitze Winkel hervorgerufene Verzerrung ein Mittel, um gewisse absurde, überflüssige, aber reale Details hervorzuheben; zum Beispiel verschlungene Linien im Parkettboden oder witterungsbedingte Verfärbungen des Wandanstrichs, Staubflecken an der Decke oder verwischte Fingerabdrücke an einer Türkante. In diesen Träumen verirrte ich mich unvermeidlich in den wasserähnlichen Universen der durch die Verzerrung hervorgehobenen Details. Bei all diesen Traumübungen gab es eine solche Fülle von Einzelheiten in meinem Zimmer, und deren Sog war so intensiv, daß ich immer sofort gezwungen war. darin einzutauchen. Sobald ich mich wieder freimachen konnte, war ich bei Don Juan und befragte ihn nach diesem Stand der Dinge. »Ich werde nicht mit meinem Zimmer fertig«, sagte ich, nachdem ich ihm die Details meiner Traumübungen geschildert hatte. »Wie kommst du auf die Idee, du müßtest damit fertig werden?« fragte er grinsend.
»Ich habe das Gefühl, ich sollte mich über mein Zimmer hinaus bewegen, Don Juan.«
»Aber du bewegst dich doch über dein Zimmer hinaus. Vielleicht solltest du dich fragen, ob du dich nicht wieder in deinen Interpretationen verfangen hast. Was glaubst du denn, bedeutet in diesem Fall, sich zu bewegen?«
Und so erzählte ich ihm. daß das Hinausgehen aus meinem Zimmer, hinunter auf die Straße ein so eindringlicher Traum für mich gewesen war, daß ich mich wirklich gedrängt sah, es noch einmal zu tun.
»Aber du tust jetzt viel größere Dinge«, protestierte er. »Du dringst in unglaubliche Regionen vor. Was willst du mehr?« Ich versuchte ihm klarzumachen, daß ich geradezu einen physischen Drang verspürte, mich aus der Fessel der Details zu befreien. Was mich am meisten beunruhigte, war meine Unfähigkeit, mich loszumachen von allem, was meine Aufmerksamkeit fesselte. Ein Minimum an eigenem Willen zu haben, war für mich unerläßlich. Darauf folgte ein langes Schweigen. Ich erwartete mehr über die Fessel der Details zu erfahren. Immerhin hatte er mich vor deren Gefahren gewarnt.
»Du machst deine Sache gut«, sagte er schließlich.
»Es dauert sehr lange, bis Träumer ihren Energiekörper vervollständigen. Und genau darum geht es hier: nämlich um die Vervollständigung des Energiekörpers.«
Der Grund, warum mein Energiekörper allerlei Details untersuchen und sich unlösbar darin verstricken müsse, erklärte mir Don Juan, sei dessen Unerfahrenheit, seine Unvollständigkeit. Er sagte, daß Zauberer ein Leben lang damit beschäftigt sind, ihren Energiekörper zu konsolidieren, indem sie ihn alles mögliche aufsaugen lassen.
»Bevor der Energiekörper vollständig und reif entwickelt ist. neigt er zur Selbstvergessenheit. Er kann sich nicht von dem Zwang befreien, sich von allem und jedem absorbieren zu lassen. Wenn man dies aber berücksichtigt, statt gegen den Energiekörper anzukämpfen, wie du es jetzt tust, kann man ihm behilflich sein.«
»Wie könnte ich das tun. Don Juan?«
»Indem du sein Verhalten steuerst, das heißt indem du ihn anpirschst.«
Und er erklärte mir, daß das Pirschen - weil alles,
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