Die Kunst des Träumens
fuhr ich nach jener Stadt in Mexiko, wo er und seine Gefährten lebten.
Don Juan und die anderen Zauberer lachten herzlich bei der bloßen Erwähnung meines Konfliktes. Don Juan erklärte mir aber, daß sie eigentlich nicht über mich, sondern über sich selbst lachten. Meine kognitiven Probleme erinnerten sie daran, was sie durchgemacht hatten, als die Schranke der zweiten Aufmerksamkeit vor ihnen zusammenbrach, genau wie es mir geschehen war. Ihr Bewusstsein, genau wie meines, sei nicht darauf vorbereitet gewesen, sagte er.
»Jeder Zauberer macht die gleichen Qualen durch«, fuhr Don Juan fort. »Das Bewusstsein ist ein Feld endloser Forschung für die Zauberer, auch für die Menschen im allgemeinen. Es gibt kein Risiko, das wir scheuen, kein Mittel, das wir ablehnen sollten, um unser Bewusstsein zu steigern. Vergiß aber nicht, daß Bewußtheit nur bei nüchternem Verstand gesteigert werden kann.« Und dann betonte Don Juan wieder einmal, daß seine Zeit zu Ende ginge und daß ich meine Kräfte klug einsetzen müsse, um möglichst weit voranzukommen, bevor er mich verließ. Solche Reden stürzten mich immer in tiefe Depression. Da aber die Zeit seines Fortgehens näherkam, hatte ich angefangen, mich damit abzufinden. Ich war nicht mehr deprimiert, geriet aber dennoch in Panik.
Danach wurde nichts mehr gesprochen. Am nächsten Tag fuhr ich Don Juan, auf seine Bitte, nach Mexico City. Wir trafen gegen Mittag ein und fuhren direkt ins Hotel Del Prado, am Paseo Alameda gelegen, das Haus, in dem er stets abstieg, wenn er in der Stadt war. Don Juan hatte an diesem Tag, um vier Uhr nachmittags, eine Verabredung mit einem Anwalt. Da wir viel Zeit hatten, gingen wir zum Lunch ins berühmte Café Tacuba, ein Restaurant im Zentrum der Stadt, wo man angeblich noch echtes Essen servierte.
Don Juan war nicht hungrig. Er bestellte nur zwei süße Tamales. während ich mich an einer reichhaltigen Mahlzeit labte. Er lachte über mich und zeigte stumme Verzweiflung über meinen gesunden Appetit.
»Ich möchte dir eine Handlungsanweisung geben«, sagte er. unvermittelt, nachdem wir gegessen hatten. »Und zwar für die letzte Aufgabe an der dritten Pforte des Träumens. Diese Aufgabe besteht darin, die Pirscher anzupirschen - und ist ein beinah unerklärliches Manöver. Die Pirscher anzupirschen bedeutet, bewußt Energie aus dem Reich der anorganischen Wesen abzuziehen, um ein Meisterstück der Zauberei auszuführen.«
»Was für ein Meisterstück der Zauberei. Don Juan?«
»Eine Reise - und zwar eine Reise, bei der Bewußtheit als Bestandteil der Umwelt eingesetzt wird«, erklärte er. »In der Alltagswelt ist das Wasser ein Element der Umwelt, das wir zur Fortbewegung nutzen können. Stelle dir nun Bewußtheit als ähnliches Element vor. das zur Fortbewegung benutzt werden kann. Durch das Medium des Bewußtseins kommen Scouts aus dem ganzen Universum zu uns. und umgekehrt. Durch das Bewußt-sein reisen Zauberer bis an die Enden des Universums.« Unter der Fülle von Ideen, mit denen Don Juan mich im Verlauf seiner Lehren bekannt gemacht hatte, gab es gewisse Konzepte, die ohne weitere Anleitung mein volles Interesse fanden. Dies war eines von ihnen.
»Die Idee, daß Bewusstsein ein physikalisches Element sei. ist revolutionär«, sagte ich. staunend vor Ehrfurcht.
»Ich habe nicht gesagt, es sei ein physikalisches Element«, korrigierte er mich. »Es ist ein energetisches Element. Diesen Unterschied mußt du beachten. Für Zauberer, die sehen, ist Bewusstsein eine leuchtende Glut. Sie können ihren Energiekörper an diese Glut ankoppeln und damit fliegen.«
»Was ist der Unterschied zwischen einem physikalischen und einem energetischen Element?« fragte ich.
»Der Unterschied ist, daß physikalische Elemente in unserem Interpretationssystem vorgesehen sind, energetische Elemente aber nicht. Energetische Elemente, wie das Bewusstsein, existieren in unserem Universum. Wir aber, als normale Menschen, nehmen nur die physikalischen Elemente war, weil man uns dies gelehrt hat. Die Zauberer nehmen energetische Elemente aus dem gleichen Grund wahr: sie haben dies gelernt.« Don Juan erklärte mir, es sei der Kern aller Zauberei, Bewußtheit als Element unserer Umwelt zu nutzen. Praktisch betrachtet, ginge es bei der Zauberei erstens darum, die in uns existierende Energie freizusetzen, indem wir makellos dem Weg der Zauberer folgen; zweitens, diese Energie zu nutzen, um den Energiekörper mit Hilfe des Träumens zu entwickeln;
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