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Die Kunst des Träumens

Die Kunst des Träumens

Titel: Die Kunst des Träumens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Frage erschreckte mich beinah zu Tode: ich hatte geglaubt, sie wisse, was uns bevorstand.
    »Es geht darum, eure gesamte körperliche Masse auf den Energiekörper zu übertragen«, antwortete Don Juan und sah ihr in die Augen.
    »Die große Schwierigkeit dieses Manövers liegt darin, den Energiekörper zu disziplinieren - aber das habt ihr beide schon getan. Mangelnde Disziplin wäre der einzige Grund, warum ihr bei der Aufgabe scheitern könntet, diese höchste Form des Pirschens zu verwirklichen. Manchmal gelingt es einem normalen Menschen aus Zufall, dies Meisterstück zu bewältigen und in eine andere Welt vorzustoßen. Dies aber wird unweigerlich als Wahnsinn oder als Halluzination erklärt.«
    Ich hätte alles darum gegeben, hätte Don Juan nur weitergesprochen. Aber er brachte uns zum Aufzug, und trotz meiner Proteste, trotz meinem Verlangen nach rationalem Wissen, fuhren wir hinauf in den zweiten Stock, auf Carols Zimmer. Es war aber nicht mein Verlangen nach Wissen, was mich im Innersten quälte: das Entscheidende war meine Furcht. Irgendwie wußte ich, daß dieses Zauber-Manöver schrecklicher sein würde als alles, was ich bis dahin überstanden hatte.
    Don Juans Abschiedsworte an uns beide waren: »Vergesst euer Selbst, und ihr werdet nichts fürchten.« Mit einem Grinsen und einem Kopfnicken forderte er uns auf, über seine Worte nachzudenken.
    Carol lachte und begann wie ein Clown die Stimme Don Juans nachzumachen, mit der er uns diese rätselhafte Anweisung gegeben hatte. Ihr Lispeln verlieh Don Juans Worten zusätzlichen Reiz. Manchmal fand ich ihr Lispeln liebenswert. Meistens aber verabscheute ich es. Zum Glück war ihr Lispeln an diesem Abend nicht so auffällig.
    Wir gingen in ihr Zimmer und setzten uns auf die Bettkante. Mein letzter bewusster Gedanke war, daß das Bett ein Fossil aus der Zeit der Jahrhundertwende sein mochte. Bevor ich Zeit hatte, noch ein Wort zu sagen, fand ich mich in einem sehr sonderbaren Bett liegen. Carol lag neben mir. Zugleich mit mir richtete sie sich halb auf. Wir lagen beide nackt, unter leichten Decken.
    »Was ist los?« fragte sie mit schwacher Stimme.
    »Bist du wach?« fragte ich, sinnloserweise.
    »Natürlich bin ich wach«, sagte sie ungeduldig.
    »Erinnerst du dich, wo wir waren?« fragte ich. Es folgte ein langes Schweigen, während sie ihre Gedanken zu ordnen versuchte.
    »Ich glaube, ich bin real, aber du bist es nicht«, sagte sie schließlich.
    »Ich weiß, wo ich vorher war. Und du versuchst, mich mit einem Trick hereinzulegen.« Nun, ich fand, daß sie das gleiche mit mir machte.
    Sie wußte, was los war, und wollte mich wohl auf die Probe stellen oder mich hänseln. Ihr Dämon, genau wie meiner, sei Vorsicht und Mißtrauen, hatte Don Juan mir einmal gesagt. Dies war ein wunderbares Beispiel dafür.
    »Ich weigere mich, irgendwelchen Blödsinn mitzumachen, bei dem du die Kontrolle hast«, sagte sie. Sie sah mich mit giftigen Blicken an.
    »Hör mal, ich rede mit dir, wer immer du sein magst.«
    Sie nahm eine der Wolldecken, mit denen wir zugedeckt waren, und hüllte sich darin ein.
    »Ich werde mich hinlegen und zurückkehren, woher ich gekommen bin«, sagte sie, mit endgültiger Entschlossenheit.
    »Du und der Nagual. ihr könnt hier eure Spielchen spielen.«
    »Hör auf mit dem Quatsch«, sagte ich mit Nachdruck. »Wir sind in einer anderen Welt.«
    Sie beachtete mich nicht und kehrte mir den Rücken zu. wie ein gelangweiltes und verwöhntes Kind. Ich hatte keine Lust, meine Traum-Aufmerksamkeit an müßige Diskussionen über Realität und Irrealität zu verschwenden. So begann ich, meine Umgebung zu untersuchen. Das einzige Licht im Zimmer war der Mond, der durch ein Fenster genau vor uns hereinschien. Wir befanden uns in einer kleinen Kammer, auf einem hohen Bett. Mir fiel auf, daß das Bett primitiv konstruiert war. Vier dicke Pfosten waren in die Erde gerammt, und der Bettrahmen war ein Lattenrost aus langen, an den Pfosten befestigten Stangen. Das Bett hatte eine feste Matratze, oder vielmehr eine kompakte Matratze aus einem Stück. Kissen oder Laken gab es keine. An den Wänden waren Säcke aus Leinwand aufgestapelt. Zwei Säcke, am Fußende des Bettes übereinander gelegt, dienten als Trittleiter, um hinaufzusteigen. Während ich nach einem Lichtschalter suchte, wurde mir klar, daß dieses Hochbett in einer Ecke der Kammer stand, an der Wand. Wir lagen mit den Köpfen zu dieser Wand. Ich lag außen, und Carol auf der inneren Seite des Bettes.

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