Die Kunst engagierter Gelassenheit
Erotik kann und will ich nicht gelassen sein.« (Mann, 64 Jahre)
»Ich reagiere bewusst ungelassen, wenn in einem Notfall-Einsatz etwas Falsches getan oder gesagt wird, wenn Betroffenen nicht mit Rücksicht und Empathie begegnet wird oder wenn der Persönlichkeitsschutz gefährdet ist.« (Mann, 45 Jahre, Mitarbeiter eines Care-Teams)
»Gelassen kann ich nicht sein, wenn sich jemand total daneben benimmt oder radikale politische Äußerungen rassistischer oder sexistischer Art macht, die ich nicht tolerieren kann.« (Frau, 42 Jahre, Leiterin eines Hilfswerks)
»Nicht gelassen sein will ich, wenn es um Menschen geht, die mir anvertraut sind und für die ich Verantwortung trage. Und besonders im Fall von Ungerechtigkeit.« (Frau, 55 Jahre, Präsidentin eines Hilfswerks)
»Nicht allzu viel Gelassenheit will ich in der Beziehung leben und zeigen, weil sie als Desinteresse ausgelegt werden und beleidigend wirken könnte. Es ist auch pädagogisch falsch, wenn Eltern gelassen bleiben und ihre pubertierenden Kinder nicht konfrontieren oder anbrüllen, wenn diese mit bewussten Provokationen den Widerstand der Eltern suchen.« (Mann, 42 Jahre)
»Ich will ungelassen und leidenschaftlich sein beim künstlerischen Schaffen.« (Mann, 56 Jahre, Bildhauer)
»Ich will und kann nicht billig gelassen sein, vor allem wenn ich konfrontiert bin mit den Dunkelheiten unserer Spezies Mensch, etwa bei den Machtspielen der Kriegführenden (im Großen und
Kleinen!) und deren verheerenden Auswirkungen auf Millionen unschuldiger, unterdrückter, geschundener Menschen, Tiere und Pflanzen.« (Frau, 55 Jahre, Künstlerin)
»Es gibt Situationen, wo man klar Grenzen setzen muss. Da wäre Gelassenheit keine Tugend. In Konfliktsituationen kann Gelassenheit provozieren oder zur Eskalation führen. Wo Leidenschaft angebracht ist, kann Gelassenheit fade, kalt oder kalkulierend wirken.« (Mann, 55 Jahre, Konflikt- und Friedenspädagoge)
»Bewusst ungelassen bin ich, wenn eine offensichtliche Ungerechtigkeit herrscht: wenn der Staat seine Arbeit nicht macht, der Chef die Mitarbeiter ausnutzt oder wenn wehrlose Kinder und Tiere gequält werden.« (Frau, 35 Jahre)
»Gelassen will ich dann nicht sein, wenn es um Themen geht wie Folter, Todesstrafe oder Kindsmissbrauch.« (Frau, 35 Jahre, Redakteurin)
»Ungelassen bin ich, wenn ich beruflich recherchiere und kommentiere. « (Mann, 38 Jahre, Journalist)
»Bewusst ungelassen bin ich beim Beschreiben von Schönheit.« (Frau, 33 Jahre, Journalistin)
»In der Liebesbeziehung ist es wichtig, sich mit Leidenschaft ungehemmt begegnen zu können. Und wenn ich Musik höre, etwas Tolles lese, lasse ich mich gern in den Bann ziehen. Ich werde Teil des Dramas und lasse mich emotional verstricken.« (Frau, 35 Jahre) »Ich will dann nicht gelassen reagieren, wenn Menschen ihre Zigarettenschachteln, Becher, Kartons und Bierflaschen nur wenige Zentimeter von Mülleimern entfernt liegen lassen.« (Frau, 36 Jahre)
»Ungelassen will ich in all jenen Situationen sein, in denen Gleichgültigkeit ein sicheres Indiz dafür wäre, dass ich tot bin.« (Frau, 49 Jahre)
»Gelassen möchte ich dann nicht sein, wenn An- und Eingriffe in Seelen-Bereiche geschehen, wo es keine Erlaubnis für Zutritt gegeben hat.« (Frau, 52 Jahre)
»Ich will und kann nicht gelassen sein, wenn Unwahrheiten und Unterstellungen verbreitet werden, wenn Ausbeutung von Mensch und Natur gut geheißen wird (auch stillschweigend), wenn andere ausgeschlossen und diskriminiert werden oder wenn Menschen hinter ihrem Rücken verleumdet oder schlecht gemacht werden.« (Frau, 71 Jahre)
»Ungelassen-leidenschaftlich möchte ich in meiner Liebesbeziehung sein. Auf der politischen Ebene möchte ich die Fähigkeit zur Empörung bewahren, vor allem bei Ausgrenzungen.« (Frau, 51 Jahre)
■ Wann und wo will und kann ich nicht gelassen sein und werden, weil es eine falsche Gelassenheit im Sinn von Desinteresse und Gleichgültigkeit wäre?
Im Loslassen gewinnen
Bevor Ihnen nicht klar ist, woran Sie festhalten,
können Sie auch nicht loslassen.
Sören Kierkegaard (Philosoph und Theologe, 1813 – 1855)
Das Wort »gelassen« ist nicht nur ein Adjektiv, dem unser Gemüt mehr oder weniger entspricht, »gelassen« ist auch das
Partizip des Verbs »lassen«: Wir haben etwas oder jemanden gelassen, losgelassen oder zurückgelassen. Dass Gelassenheit mit lassen und los-lassen zu tun hat, überrascht kaum. Gelassen-sein hängt stark mit der Fähigkeit des Loslassens
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