Die Kunst engagierter Gelassenheit
Visionen niemals aus dem Herzen verliert.«
Wie loslassen?
Nirgendwo habe ich mehr Ruhe gefunden
als in Wäldern und in Büchern.
Thomas von Kempen (Mystiker, 1380 – 1471)
Je nach Menschentyp existieren unterschiedliche Strategien und Tricks, Methoden und Settings, Wege und Hilfen, um besser, leichter, schmerzfreier oder eben gelassener loslassen zu können. Weil ich hin und wieder Meditationskurse leite, sagen mir viele Leute, sie müssten unbedingt lernen, stundenlang auf einem Kissen zu sitzen und still zu meditieren, um endlich innere Ruhe zu finden. Ein befreundeter TV-Redakteur meinte: »Für mich ist die tägliche Meditation der Taktgeber der inneren Ruhe und Gelassenheit.« Zweifellos ermöglicht die Meditation das Loslassen auf sehr effektive Art. Aber es ist längst nicht jede und jeder geeignet zum stundenlangen Stillsitzen. Darum seien hier bewusst einige Alternativen genannt.
Klagen und weinen
Gerade wenn wir geliebte Menschen durch Trennung oder Tod verlieren, nützt es nichts, wenn wir unsere Kräfte dadurch vergeuden, so zu tun, als wäre alles schon geschafft. Als Jesus an das Grab eines Freundes trat, weinte er vor den
Augen des ganzen Dorfes. Nur wer nichts liebt, kommt ohne Tränen aus. Wir haben es heute besonders schwer, Zeiten der Trauer durchzustehen. Trauernde entschuldigen sich oft dafür, dass es ihnen nach vier Wochen noch immer nicht besser geht. Weinen und schreien sind keine Zeichen von Schwäche. Wer Verlust, Trennung, Trauer und Loslassen-Müssen vermeiden will, kann sich auch nicht auf das Leben und auf neue Beziehungen einlassen.
Natur, Bewegung und Sport
»Ich beginne meine Bürotage mit einem Waldlauf – immer die gleiche Strecke den Fluss entlang. Ich jogge rund sieben Kilometer und werde dabei ganz ruhig.« (Journalistin, 53 Jahre)
»Loslassen kann ich am besten, indem ich ins Boxtraining gehe, wo ich den Kopf leeren und Aggressionen abbauen kann, weil vorne einer sagt, was zu tun ist, und ich selbst nichts überlegen muss.« (Mann, 43 Jahre)
»Sport hilft mir sehr, innere Ruhe zu bewahren. Da kann ich ausspannen, verarbeiten und neue Energien tanken.« (Leiterin eines Hilfswerks, 48 Jahre)
»Abstand und innere Ruhe schaffe ich durch mein regelmäßiges Kung Fu-Training, das körperliche Höchstleistung, Konzentration und Entspannung vereint und mir mein körperliches Wohlempfinden garantiert.« ( Journalistin, 36 Jahre )
Manche können nach einem strengen Arbeitstag leichter abschalten und schneller »herunterfahren«, indem sie die Füße bewusst in den Boden verankern, erden oder laufen gehen bis das Grübeln nachlässt. Auch das Schwimmen im See, das frei
improvisierte Tanzen, Tai Chi-Übungen, ein Sauna-Bad, Massage, autogenes Training oder Gartenarbeit lassen unsere Gedanken leichter und die Seele gelassener werden.
Notizbuch, Tagebuch, Tagesrückblick
»Dinge und Themen, die ich loswerden will, schreibe ich in ein Tagebuch.« (Frau, 37 Jahre)
Loslassen gelingt vielen durch das Festschreiben in einem Notiz- oder Tagebuch. In Kursen vermittle ich jeweils ein abendliches Ritual des Loslassens. In dieser Übung lassen wir die letzten 24 Stunden wie in einem Film nochmals innerlich ablaufen und betrachten, was noch unvollendet, bruchstückhaft, unverarbeitet und unerledigt geblieben ist. Wir spüren nach, was wir brauchen, um am folgenden Tag den Faden aufzunehmen. Für den Moment aber übergeben wir den Tag dankend mit all seinen Gedanken und Gefühlen, Begegnungen und Erlebnissen in Form einer vollen Schale dem göttlichen Gegenüber und nehmen für die Nacht und den neuen Tag eine neue, leere Schale in Empfang. Diese geistliche Tagesschau geht auf den christlichen Mystiker Ignatius von Loyola zurück. Sie findet sich aber auch in anderen spirituellen Traditionen. Der chinesische Meister Chao-Hsiu Chen nennt die Gelassenheit treffend das »Nachtgebet des Herzens«.
Pausen, Körper- und Atemübungen
»Einmal pro Woche übe ich Yoga über Mittag, was sehr gut tut.« (Redakteurin, 60 Jahre)
»Zwischendurch schöpfe ich tief Atem und versuche mittels kurzer Ruhepausen Abstand zu gewinnen.« (Chefbeamter, 65 Jahre)
»Das Loslassen übe ich, indem ich ab und an den Arbeitsplatz verlasse, in ein Café oder auf die Straße unter Menschen gehe.« (Frau, 60 Jahre)
Je kürzer und seltener Pausenzeiten während der Arbeitszeit sind, umso achtsamer sollten wir sie gestalten. Schon im Vorfeld können wir uns überlegen, ob wir sie allein oder mit einer bestimmten
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