Die Kunst engagierter Gelassenheit
letztlich ein Segen für den weiteren Weg. Dennoch können wir Enttäuschungen abfedern, indem wir unsere Erwartungen auf einem möglichst realistischen Niveau ansetzen. Ein befreundeter Architekt investiert regelmäßig viel Zeit, Energie und Herzblut in Architekturwettbewerbe und weiß gleichzeitig, dass er einer von vielen anderen talentierten Bewerbern ist. Darum versucht er jeweils bewusst im Voraus, seinen Selbstwert und seine Selbstliebe möglichst unabhängig zu machen von Erfolg und Lob, Dank und Anerkennung.
Unsere meisten Vorstellungen von Richtig und Falsch, von Gut und Schlecht sind letztlich konstruierte Illusionen. Beispiele aus Natur und Kultur mögen diese These verdeutlichen: Was Unkraut und was eine ordentliche Gartenpflanze ist, ist weniger eine Kategorie der Natur selbst als die Frucht unserer Interpretation. Auch was Musik und was purer Lärm ist, entspricht nicht einer natürlichen Ordnung, sondern unseren persönlichen Vorstellungen von Kunst. Legendär ist die Geschichte der Reinigungsfrau, die vor zwanzig Jahren in der Düsseldorfer Kunstakademie in einer Ecke einen Haufen Fett und Filz aufwischte und entsorgte. Es war ein Kunstwerk von Joseph Beuys.
Auch von uns selbst tragen wir hübsch gezimmerte Wunschbilder und Idealvorstellungen in uns, die es regelmäßig zu hinterfragen und loszulassen gilt.
Verletzungen/Opfer-Täter-Rollen
»Schlecht loslassen kann ich eine Kränkung, wenn ich das Gefühl habe, schlecht behandelt worden zu sein und dass mir Unrecht getan wurde. Es braucht Zeit, die innere Schallplatte (das Geplätscher der Gedanken, Rechtfertigungen, Vorwürfe usw.) abzustellen und mich zu versöhnen.« (Mann, 62 Jahre)
Wir haben in unserem persönlichen Umfeld wohl alle ein paar Freunde, die sich mit einer Trennung oder Entlassung auch nach Jahren und Jahrzehnten noch nicht abgefunden haben und viel Energie darauf verwenden, über den ehemaligen Chef oder die weggelaufene Ehefrau zu schimpfen. Das Loslassen und die Haltung der Gelassenheit fallen uns besonders schwer, wenn uns etwas Negatives besetzt und belastet: Kriegs- und Gewalterfahrungen, finanzielle Probleme, Entlassungen und Trennungen. Gleichzeitig ist mit unserer OpferRolle auch Macht verbunden. Als Betrogene können wir uns moralisch über unsere Partner stellen, als Entlassene über unsere Vorgesetzten, als Bestohlene über den Dieb. Wenn wir uns in der Opferrolle fühlen, ist unsere Unzufriedenheit nicht zwingend die Folge der erlittenen Verletzungen, sondern die Scheu und der Widerstand, Verantwortung für unsere eigenen Gefühle und Reaktionen zu übernehmen.
Viel Unglück und Unzufriedenheit, Hass und Gewalt in der Welt könnten dadurch vermieden werden, dass wir Menschen und Gruppen, Völker und Religionen nicht permanent in gut und böse einteilen, sondern sie möglichst vorurteilslos wahrnehmen. Das Freund-Feind-Schema, wie es George W. Bush systematisch kultivierte, ist letztlich eine vom Menschen konstruierte
Illusion. Unser Freund und Nächster ist auch der, der anders ist als wir, selbst der, den wir gern als Gegner und Feind bezeichnen. Der jüdische Religionswissenschaftler Pinchas Lapide schuf in den 70-er Jahren den Begriff »Entfeindungsliebe« als Alternative zur christlichen Feindesliebe. Und auch die palästinensische Friedensstifterin Sumaya Farhat-Nasers versucht seit Jahrzehnten, das Freund-Feind-Schema zwischen Israeli und Palästinensern als Ideologie aufzubrechen und zu wandeln.
Ego
Ein Schüler sprach zu seinem Lehrer: »Ich bin gekommen, ihnen meine Dienste anzubieten.« Worauf der Meister antwortete: »Wenn du das ›ich‹ wegließest, ergäbe sich das Dienen von selbst.«
Ob wir uns mit unseren Gelassenheitshemmern befassen oder ob wir uns fragen, was wir loslassen müssen, um wirklich gelassen zu werden: Letztlich kommen wir nicht umhin, uns mit unserem ängstlichen kleinen Ego zu befassen, das uns das Leben oft so schwer und mühsam macht. Die Sorge ums eigene Ego ist ständig präsent und wirksam, ob es um unseren Umgang mit Kritik und Erwartungen geht oder ob es das Aussehen und den Wunsch nach Bestätigung und Beachtung betrifft. Der UBS-Chef Oswald Grübel hat letzthin verärgert ein Sponsoren-Abendessen in Davos verlassen, weil die Nachspeise in der Küche ausgegangen war, ehe er endlich zum Essen kam. Und der chinesische Parteichef sagt Staatsbesuche prinzipiell ab, wenn zuvor Kritisches über ihn in den Zeitungen des Gastlandes erscheint.
Unser kleines Ego will uns immer
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