Die Kunst engagierter Gelassenheit
Theologen Reinhold Niebuhr (1892 – 1971). In den deutschen Sprachraum gelangte das Gebet durch den Religionspädagogen Theodor Wilhelm, der es unter dem Pseudonym Friedrich Christoph Oettinger publizierte. Die starke Verbreitung dieses Gebets hängt mit der Bewegung der Anonymen Alkoholiker zusammen, die es bei ihren Meetings jeweils gemeinsam sprechen.
Gott, gib mir die Gelassenheit,
die Dinge hinzunehmen,
die ich nicht ändern kann.
Verleih mir Mut,
die Dinge zu ändern,
die ich ändern kann.
Und schenk mir die Weisheit,
das eine vom anderen zu unterscheiden.
Dieses Gebet bringt das komplexe Thema Gelassenheit treffend auf den Punkt. Erstens geht es um unsere Fähigkeit, mit dem Unvermeidbaren konstruktiv zu kooperieren. Zweitens verlangt ein Leben in Verantwortung, dass wir uns angstfrei gegen vermeidbares Leiden und Unrecht in der Welt erheben und es zu wandeln versuchen. Und drittens sind wir permanent gefordert, die richtige Strategie herauszufinden und zu wählen. Das Gebet bietet grundsätzlich zwei Alternativen an: Akzeptanz oder Veränderung. Unser urmenschliches Dilemma und der Grund unseres Unglücks besteht oft darin, dass wir die Dinge ändern wollen, die nicht in unserer Macht stehen, während wir jene Leiden nicht ändern, die durchaus in unserem Verantwortungsbereich lägen.
Ich möchte neben diesen beiden Wahl- und Handlungsalternativen bewusst eine dritte Option ergänzen, nämlich die versöhnte Trennung von einem System, das sich nicht verändern lässt oder lassen will. Wo immer wir Leiden, Druck und Unannehmlichkeiten begegnen, haben wir also – meistens –
die Wahl: to bear, to change or to leave (aushalten, verändern oder weggehen). Und die Praxis der Annahme und Akzeptanz beginnt bereits damit, dass andere Menschen sich anders verhalten bezüglich Aushalten, Verändern und Weggehen.
Diese dritte Option wählte ich vor vier Jahren, als ich nach 22 Jahren aus dem Jesuitenorden austrat. Vor dieser Entscheidung hatte ich mir x-fach überlegt, ob ich mich neu motivieren sollte und könnte innerhalb meiner damaligen Tätigkeit und der Gemeinschaft oder ob ich innerhalb des Ordens eine Veränderung vornehmen könnte und sollte. Denn die Arbeit bereitete mir Freude, ich konnte sie mit anderen spannenden Tätigkeiten verbinden. Und auch ein Wechsel nach Berlin in die Flüchtlingsarbeit hätte mich gereizt. Doch ich entschied mich zum Verlassen des Systems, da der Orden an dem Punkt, der mir sehr wichtig war (Leben in einer transparenten Liebesbeziehung), sich auch in 100 Jahren nicht ändern würde.
■ Übung: Auf der folgenden Seite sind in der linken Spalte verschiedene Lebensbereiche aufgeführt. Fragen Sie sich, ob Sie in bestimmten Bereichen Anlass für eine Veränderung spüren, sei es negativ wegen Druck und Überforderung, sei es positiv wegen innerem Feuer, extremer Anziehung oder Lust auf Veränderung. Notieren Sie sich die Impulse in den verschiedenen Lebensbereichen. Und dann prüfen Sie, mit welcher Strategie Sie auf diese Impulse reagieren wollen, können – oder müssen: to bear, to change or to leave?
Annehmen – verändern – beenden?
Wahrgenommener Impuls
Mögliche Reaktionen
Innen: Gedanken, Gefühle, Triebe
to bear Kooperation mit dem Unvermeidlichen, kreativer Umgang, positive Einstellung
Partnerschaft/Ehe
Familie
to change etwas innerhalb des Systems verändern, ehe das Leiden am Status quo größer wird als die Angst vor Neuem
Arbeit/Unternehmen/ Organisation
Vereine/Hobbys
Religion/Kirche
to leave Trennung, Anpassung und Veränderungen unmöglich sind (möglichst würdigend und versöhnt)
Politik: Gemeinde/ Kanton/Staat
Globale Situation/ Umwelt
Mit Unvermeidbarem kooperieren
Das Geheimnis der Gelassenheit
ist das aus dem Herzen kommende
und uneingeschränkte Kooperieren
mit dem Unvermeidbaren.
Anthony de Mello (indischer Jesuit, 1931 – 1987)
Eine Legende berichtet von einem Wanderer, der eines Tages an einer Schafherde vorbeikam und den Schäfer fragte: »Wie wird das Wetter heute?« Dieser antwortete: »So, wie ich es gern habe.« »Woher weißt du, dass das Wetter so sein wird, wie du es liebst?« »Ich habe die Erfahrung gemacht, mein Freund, dass ich nicht immer das bekommen kann, was ich gerne möchte. Also habe ich gelernt, immer das zu mögen, was ich bekomme. Deshalb bin ich ganz sicher: Das Wetter wird heute so sein, wie ich es mag. Was immer geschieht, an uns liegt es, Glück oder Unglück darin zu sehen.«
Dieses Beispiel ist harmlos.
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