Die Kunst engagierter Gelassenheit
Wenn es regnet, können wir zu Hause bleiben oder uns innerlich positiv darauf einstellen, einen Schirm aufspannen, unter dem Regen spazieren oder gar wie Gene Kelly im Film I’m singin’ in the rain vergnügt pfeifen, singen und tanzen.
Wir kennen aber auch Situationen, wo uns das Annehmen des Schicksals extrem herausfordert, irreal erscheint oder objektiv unmöglich vorkommt. Als ich einen Kurs über Gelassenheit leitete, schilderte ein Mann seine Mühe, die 3-jährige autistische Tochter mit ihrem Schicksal voll und ganz akzeptieren zu können. Was sollte ich ihm raten? Abgeben und
abschalten lässt sich ein Kind nicht. Und den lieben Gott ein Leben lang anzuklagen, hilft auch wenig. [Ref 4]
Das Tier ist durch seine Instinkte weitgehend programmiert und hat nur eine beschränkte Freiheit zum Entscheiden und Handeln. Es braucht darum keine Gelassenheit, um mit jenen Situationen »fertig«zuwerden und konstruktiv umgehen zu können, die es nicht beeinflussen und ändern kann. Wir Menschen hingegen sind weitgehend freie und gestaltende Wesen. Darum tun wir uns schwer, wenn wir mit unserer Freiheit und dem Gestaltungsdrang an Grenzen stoßen und zu einem weisen Umgang mit unverfügbaren Situationen gezwungen werden. Ottfried Höffe drückt dies philosophisch so aus:
»Soll das Leben glücken, so braucht es ein paradoxes Können: Man muss imstande sein, etwas, das nicht in unserer Hand liegt, trotzdem in die Hand zu nehmen ...Wer den Grenzen der Freiheit frei zustimmt und die freie Zustimmung zu einer Grundhaltung entwickelt, verfügt über die Tugend der Gelassenheit ... Zwischen Erzwingen-wollen und Gefügigkeit, zwischen Aktivität und Passivität gestellt, besteht die Gelassenheit in der Bereitschaft, die natürliche Welt, die Mitmenschen, nicht zuletzt die eigene Person mitsamt der dazugehörigen Geschichte anzunehmen und sich trotzdem nicht als freie und schöpferisch handelnde Person aufzugeben. Man akzeptiert, dass das Leben sowohl unangenehme Überraschungen als auch nicht überraschende Unannehmlichkeiten wie das Altern bringt.« (in: O. Höffe, S. 145)
Die geistig-seelische Haltung der Gelassenheit ermöglicht uns, mit unvermeidlichen Situationen im eigenen Leben und auf dem Planeten konstruktiv umzugehen und daraus das je Beste zu machen. Die Gelassenheit ermöglicht es uns auch, dass wir unsere Gestaltungskräfte nicht nur auf das Unveränderbare fokussieren, sondern auch und vor allem auf das Vermeidbare und Veränderbare.
Nicht nur einzelne Menschen gehen unterschiedlich souverän, reif, konstruktiv, kreativ und heiter mit Unvermeidbarem und Unveränderbarem um. Es gibt offensichtlich auch Gruppen und ganze Kulturen, die mehr Gelassenheit entwickeln als andere. Mit einer besonderen Heiterkeit scheinen die Rheinländer gesegnet zu sein. Diese kollektive Leichtigkeit des Seins lässt sich bereits unter der römischen Besatzung nachweisen. Einerseits führte der äußere Druck damals zum Karneval als Ventil, der bis heute lebendig geblieben ist. Und andererseits regelten die Belagerten am Rhein das Zusammenleben im sogenannten Kölschen Grundgesetz mit 11 Artikeln:
Et es wie et es. (Sieh den Tatsachen ins Auge)
Et kütt wie et kütt. (Fürchte die Zukunft nicht)
Et hätt noch immer Jot jejange. (Hab Vertrauen aufgrund der Vergangenheit)
Wat fott es es fott. (Trauere nichts nach)
Nix bliev wie et wor. (Sei offen für Neuerungen)
Kenne mer nit, bruche mer nit, fott domet. (Sei kritisch gegenüber zu vielen Neuerungen)
Wat wellste maache? (Füge dich in dein Schicksal)
Mach et jot ävver nit ze off. (Überfordere dich nicht, achte auf deine Gesundheit)
Wat soll dä Quatsch? (Hinterfrage alles)
Drinkste ene met? (Pflege die Gastfreundschaft)
Do laachste dech kapott. (Bewahre den Humor)
Von der Geburt bis zum Tod ist unser Leben voller unplanbarer, unvermeidbarer und unveränderbarer Situationen, Momente und Überraschungen.
Erstens gibt es natürliche Unvermeidbarkeiten: Geburt, Herkunftsfamilie mit Eltern und Geschwistern, Rasse, Geschlecht und sexuelle Orientierung, Nationalität und Muttersprache, Kindheit, Tod der Eltern, Alter und eigener Tod.
Zweitens existieren persönliche Unvermeidbarkeiten, etwa Konsequenzen von Entscheidungen: eigene Kinder, Unfälle, Beziehungskrisen.
Und drittens erfahren manche auch soziale, politische, wirtschaftliche, kulturelle und ökologische Schicksale, die nicht zwingend unvermeidbar und naturgegeben sein müssen: Schulwechsel, Entlassungen, Finanzkrisen,
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