Die Kunst engagierter Gelassenheit
können wir heute fast alles auf dem Planeten verändern. Gleichzeitig wissen wir seit Jahrzehnten, dass wir unser Konsum- und Energieverhalten dringend ändern sollten – und tun es nicht. Darum müsste die Gelassenheits-Bitte ergänzt werden: »Verleih mir den Mut, die Dinge zu ändern, die dringend geändert werden müssen. Und die Gnade, nicht alles und alle ändern zu müssen, sondern bei mir zu beginnen.«
Ändere dich – ändere dich nicht!
Oft betrachten und behandeln wir unsere Mitmenschen und die Welt so, als wäre ihr primärer Zweck, uns zu gefallen, unsere Erwartungen zu erfüllen und unseren Wunschbildern zu
entsprechen. Allzu leicht machen wir andere und die Welt verantwortlich für unsere eigene Unzufriedenheit und unser Nicht-Gelassensein, für unsere schlechte Laune oder unser Leiden. Und fordern, dass sie sich ändern müssen, damit wir endlich zu Gelassenheit und Glück finden können. Doch andere Menschen – vor allem Erwachsene – können wir nicht ändern und sollten es auch gar nicht erst versuchen. Wir können und dürfen unsere Pläne und Ideale, unerfüllten Sehnsüchte und früheren Enttäuschungen nicht auf Partner und Freunde projizieren. Eine Frau klagte in einem Beratungsgespräch darüber, dass sie sich ständig über ihren Partner aufregen müsse. Morgens presse er die Orangen für ihren Saft nicht genügend aus, auf dem Weg zur Arbeit gewähre er den anderen Autolenkern sowie den Radfahrern und Fußgängern zu oft den Vortritt, in Gesprächen mit Dritten sei er zu zutraulich, abends halte er sich beim Kochen nicht genau an die Rezepte und nachts sei er im Bett zu wenig einfallsreich. Irgendwann unterbrach ich sie und fragte provokativ, warum sie einen Menschen nur lieben könne und wolle, wenn er genau so sei wie sie ihn haben möchte und warum sie nach so langer Zeit nicht mal versuchen wolle, das Gute, Schöne, Einzigartige und Geheimnisvolle in ihrem Partner zu entdecken. Worauf sie wütend das Gespräch und den Kontakt abbrach.
Der indische Weisheitslehrer Anthony de Mello berichtet von einer Frau, die den Zwang zur Veränderung überwinden durfte. Sie war jahrelang sehr ängstlich, schwermütig und selbstbezogen. Und jeder sagte ihr immer wieder, sie sollte sich ändern. Sie pflichtete ihnen bei und wollte sich auch ändern, brachte es aber nicht fertig, so sehr sie sich auch bemühte.
Eines Tages sagte ihr eine Freundin, sie soll sich nicht ändern, sondern sie sei liebenswert genau so wie sie sei. Diese Worte klangen wie Musik in ihren Ohren. Und sie entspannte sich, wurde lebendig und änderte sich tatsächlich mit der Zeit.
Ehe wir von anderen Menschen verlangen und fordern, wünschen oder erwarten, dass sie sich ändern sollen, müssen wir uns ernsthaft fragen: Bin ich bereit, der anderen Person zu erlauben, so zu sein und sich so zu verhalten, wie sie ist und handelt? Und noch wichtiger: Veränderung beginnt immer bei uns selbst. Im besten Fall wirkt unsere Veränderung ansteckend auf andere.
Genau hinschauen!
Der Bitte um Mut, Dinge zu ändern, die wir ändern können und müssen, geht implizit die Bitte voraus, unseren Geist zu schärfen, damit wir ungerechte und diskriminierende Strukturen überhaupt erst erkennen, Kopf und Herz für alle Formen von Gewalt und Ungerechtigkeit öffnen und uns vom Leiden anderer Menschen und von Umweltproblemen betreffen lassen. Dieser geschärfte Blick mit offenem Geist und Herz beginnt schon bei der morgendlichen Zeitungslektüre. Dorothee Sölle schrieb beim Ausbruch des Golfkriegs im Jahr 1990, dass die Wahrheit im Krieg immer das erste Opfer sei. Täglich werden unzählige Leiden weltweit verschwiegen, vertuscht und abgestritten. Unsere Bereitschaft, Leiden in der Welt zu wandeln, zu heilen und zu ändern, beginnt mit unserer Wachheit und Aufmerksamkeit dem Leiden gegenüber.
Der Schritt vom Wissen zum Handeln
Im Kopf sind uns die nötigen Veränderungen in unserem Umfeld und in der weiten Welt oft klar. Doch der Weg vom Kopf zur Hand, vom Wissen zum Handeln ist oft sehr lang und blockiert. Denn er führt über das Herz, über die tiefe innere Betroffenheit und das echte Mitgefühl mit dem Leiden in der Welt. Fremdes Leiden auch im eigenen Herz zuzulassen, dazu sind nicht alle bereit. Der Punkt, an dem uns die innere Stimme klar zur Aktion zwingt, ist je nach Person früher oder später, schneller oder langsamer erreicht:
»Der Punkt liegt bei mir da, wo mich eigene Ängste zur Übervorsicht und Mutlosigkeit
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