Die Kunst engagierter Gelassenheit
grundsätzlich ein ungeduldiger Mensch, wenn es um gesellschaftliches Handeln geht, hingegen sehr geduldig mit Menschen, welche in Not sind.« (Frau, 52 Jahre)
»Ungeduldig reagiere ich, wenn jemand etwas erzählt, dessen Pointe ich längst begriffen habe.« (Frau, 36 Jahre)
»Ungeduldig werde ich, wenn ich sehe, dass mein Gegenüber nicht zuhört und sich bereits eine Meinung gebildet hat, aber dennoch vorgibt, meine Meinung kennen zu wollen.« (Frau, 50 Jahre)
Der Mystiker Meister Eckhardt, der den deutschen Begriff »Gelassenheit« im 14. Jahrhundert geschaffen hat, sah die Gelassenheit vor allem von drei Kräften behindert: der Körperlichkeit, der Vielheit und der Zeitlichkeit. Die eben genannten Beispiele zeigen auf, dass sich diese drei Faktoren auch auf unsere Geduld auswirken: Unser Körper soll ständig und ewig funktionieren, wir wollen vieles oder alles gleichzeitig erledigen – und vor allem subito!
Hetze-Diktatur statt Zeit-Kultur
Wenn ich jeweils kurz vor acht Uhr morgens in meinem Büro ankomme, steht bereits ein halbes Dutzend Rentner mit Einkaufslisten und -tüten vor dem Eingang des angrenzenden Supermarktes. Meistens schmunzle ich über dieses Schauspiel, manchmal schüttle ich aber auch den Kopf und finde, dass sich die grau- und weißhaarigen Frühkunden eine unnötige Blöße geben durch ihre Ungeduld. Dieser Gelassenheitshemmer nimmt offensichtlich mit wachsendem Alter nicht ab – vermutlich wegen der immer geringer werdenden Lebensdauer. Ungeduld ist – wie Stefan Zweig es im einleitenden
Zitat ausdrückte – letztlich ein Ausdruck von Angst, etwas im Leben oder das Leben schlechthin zu verpassen. Tatsache ist: Wir können dem Leben nicht mehr Tage, wohl aber den Tagen mehr Leben geben.
Ungeduld scheint nicht nur im Verlauf des eigenen Lebens zuzunehmen, sondern wirkt offenbar auch ansteckend, wenn wir das Drängeln in Warteschlangen vor der Ladenkasse oder im Feierabend-Verkehr beobachten. Der ungeduldige Umgang mit der beschränkten Ressource Zeit bewirkt, dass wir uns immer weniger auf Situationen einstellen und einlassen können, sondern diese meist schon bei deren Wahrnehmung in unserem Sinne verändern wollen. Und indem wir uns der gesellschaftlichen Dynamik der Hetze unterwerfen, werden wir immer unfähiger, Zeit zwecklos zu verbringen und wahre Muße zu pflegen. Ungeduld entsteht aber nicht nur dadurch, dass wir Dinge sofort erledigen oder erhalten wollen, sondern auch viele Dinge gleichzeitig zu bewältigen und zu lösen versuchen.
Von der Natur lernen
Die beste Lehrmeisterin bezüglich Geduld ist die Natur. »Pass dich dem Schritt der Natur an: Ihr Geheimnis ist Geduld«, schrieb der US-Philosoph Ralph Waldo Emerson. Die Natur führt uns immer neu die biblische Weisheit vor Augen, dass alles im Leben seine Zeit hat – und braucht. Jeder Apfel und jede Traube braucht seine Zeit bis zur Reife. In China erzählt man sich die Geschichte von einem Bauer, der sich wunderte, dass die Saat auf seinem Acker so langsam aufging. Von Tag zu Tag wurde seine Geduld weniger. Schließlich hatte er eine Idee. Er
lief zu seinem Feld und begann, die kleinen zarten Halme etwas in die Höhe zu ziehen. Das tat er jeden Morgen neu. Als er am Abend nach Hause kam, seufzte er: »Ich bin todmüde; den ganzen Tag habe ich damit zugebracht, dem Getreide beim Wachsen zu helfen.« Eines Tages traf er seinen Nachbarn und erzählt ihm, dass er seinem Korn beim Wachsen geholfen habe. Neugierig begleitete ihn der Nachbar zu seinem Feld. Dort angekommen, sahen sie, dass alles zerstört und verwelkt war. Die kaum herangereiften Ähren hingen zu Boden.
Wenn wir die Natur betrachten, erkennen wir den permanenten Zyklus von Sein, Vergehen und neuem Werden. Die Natur erwacht immer wieder. Diese Erfahrung kann uns nicht nur Geduld, sondern auch ein tiefes Vertrauen in den Lauf unseres eigenen Lebens und in den der Geschichte schenken.
Aktiv warten
Das Warten des Bauers auf die Ernte ist ein gleichzeitiges Tun und Nicht-Tun, eine aktiv-passive Zurückhaltung. »Wer warten kann, hat viel getan«, lautet ein altes Sprichwort. Bewusstes Warten ist ein engagiertes Geschehen-Lassen. Frauen, die in »Erwartung« sind, erleben dieses aktiv-passive, engagierte Geschehen-Lassen am eigenen Leib. Der gelassene Mensch gesteht anderen Menschen und Lebewesen, Institutionen und Projekten das Recht und die Notwendigkeit, die Zeit und das Bedürfnis zu, wachsen zu dürfen, zu können, zu wollen und zu müssen. Das
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