Die Kunst, frei zu sein
Schuld. Das System versteht sich darauf, sich vor seiner Verantwortung zu drücken. Wahrscheinlich wirkt sich die schiere Größe der Unternehmen bereits zu ihrem Vorteil aus. »Ich mache die Vorschriften nicht«, sagen unsere Unterdrücker. »Ich gehorche nur Befehlen.« Diese Befehlskette dient dem Zweck, dass wir Schuldgefühle haben, wenn wir uns über einen kleinen Angestellten oder einen Call-Center-Mitarbeiter aufregen, und dadurch werden wir machtlos.
Im Mittelalter wurden Geldstrafen für einen Verstoß gegen die Vorschriften durch die Gemeinde, das Dorf oder eine Gruppe von Einheimischen verhängt. Mittelalterliche Aufzeichnungen zeigen, dass Vergehen stets mit Geldstrafen durch die Ortsgemeinde geahndet wurden. »John Aubrey erregte Ärgernis, indem er seinen Misthaufen auf der Straße des Königs hinterließ. Geldstrafe 1 Shilling. Aber begnadigt, weil mittellos.« Die Strafe wurde von deinen Nachbarn verhängt, und das Geld landete im Gemeindesäckel und konnte für die Durchführung gemeinschaftlicher Aufgaben verwendet werden. Ähnliches galt für die Gilden: Man verhängte Geldstrafen für Übertretungen der Regeln, sammelte das Geld und verwendete es später, um große Feste zu veranstalten oder es in Form von Almosen auszuteilen. Heutzutage herrscht zwar das gleiche Prinzip: Die Geldstrafen gehen an die Stadt oder die lokalen Behörden. Aber schon die Größe der beteiligten Institutionen verhindert das Aufkommen eines Wir-Gefühls oder Eingebundenseins. Wir fühlen uns einfach nur schlecht behandelt. Als ich kürzlich im Amtsgericht war und auf einen Prozess wegen Fahrens ohne Versicherung wartete, trat ein junges Paar ein. Der Mann öffnete die Tür, schloss sie wieder und brüllte seiner Freundin dann zu: »Es ist wieder die alte Schlampe.« Es gibt kein Gefühl der Teilhabe am Prozess der Gerechtigkeit. Die meisten empfinden ihn als Angelegenheit der Wichtigtuer – der alten Schlampen –, die die Amtsbefugnis haben und ihnen mit dem Finger vor der Nase herumwedeln.
Selbstverständlich funktioniert die Sache nur in eine Richtung. Wir haben keinerlei Möglichkeit, Unternehmen, die etwas vermasselt haben – was häufig vorkommt –, mit Geldstrafen zu belegen. Es ist ein einseitiger Vertrag, der den Großen nutzt und den Kleinen schadet. Die Armen und Machtlosen zu berauben ist leicht. Wie John Ruskin in Diesem Letzten schrieb: »Das entgegengesetzte gewöhnliche Straßenräubertum, die Beraubung des Reichen, weil er reich ist, scheint sich dem Gedächtnis des alten Kaufmanns nicht so fest eingeprägt zu haben; wahrscheinlich weil die vorsichtigen Menschen es wegen des geringeren Vorteils und der damit verbundenen größeren Gefahr seltener ausgeführt haben.« Tatsächlich ist es leichter, die Armen zu berauben – man werfe nur einen Blick in die Supermärkte.
Ach ja, die Ordnung! Mein ganzes Leben lang habe ich vergebens versucht, meine Angelegenheiten besser zu organisieren. Ich versäume es, Rechnungen über Geld auszustellen, das mir geschuldet wird. Ich versäume es, verspätete Zahlungen zu beanstanden, und deshalb verliere ich, und die Großunternehmen gewinnen. Es stimmt, dass wir schlechte Karten haben: Du bist allein zu Hause, der arme Dichter mit seinem Laptop und seinem Telefon, und du versuchst, alles ohne Hilfe zu erledigen. Sie dagegen haben ganze Abteilungen voll grimmiger, professioneller Arbeitssklaven, die sich darauf konzentrieren, dich abzuwimmeln, dir auszuweichen und dich einzuschüchtern, damit du ihnen dein Geld aushändigst. Eines unserer Probleme besteht, glaube ich, darin, dass man uns dazu erzogen hat, an den Arbeitsplatz, die Festanstellung zu glauben, in der uns unsere Geldsorgen abgenommen werden. Wir sind von Arbeitgebern abhängig.
Uns fehlt die unabhängige Mentalität, die für den Freiheitssucher so wichtig ist. Die Mentalität, die fordert, dass wir uns um uns selbst kümmern. Wer sich entscheidet, nicht von 9 bis 17 Uhr zu arbeiten, muss in Geldsachen besser organisiert sein.
G. K. Chesterton schrieb einen Essay über die Beziehung zwischen Organisation und Leistungsfähigkeit: »Uns wird oft mitgeteilt, dass Organisation Effizienz bedeute. Es wäre viel zutreffender zu sagen, dass Organisation Ineffizienz bedeutet.« Große Organisationen seien wegen ihrer endlosen Menschenketten naturgemäß unrationell. Je größer die Organisation, desto mehr könne schiefgehen. Ein kleinerer Verbund sei effizienter. Zum Beispiel besteht die effizienteste Art,
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