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Die Kunst, frei zu sein

Die Kunst, frei zu sein

Titel: Die Kunst, frei zu sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hodgkinson
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viktorianische Dichter und Kritiker Matthew Arnold war, wie viele andere seiner Generation, entsetzt darüber, dass man die Arbeit im neunzehnten Jahrhundert zu einem religiösen Glauben erhob. Aber ihm schien, dass auf dem anderen Pfad, dem der Freiheit, der Wahnsinn lauerte. Folgender Auszug entstammt dem deprimierenden Gedicht »A Summer Night«, in dem Arnold die beiden Möglichkeiten miteinander vergleicht:
    Denn die meisten in einem Kerker leben,
    Wo, in der Sonne heißem Auge,
    Den Kopf über den Tisch gebeugt, matt
    Ihr Leben sie sinnloser Aufgabe widmen,
    Von nichts jenseits des Kerkers träumend.
    Und wenn, Jahr um Jahr,
    Neue Ergebnisse unfruchtbarer Arbeit
    Aus ihren müden Händen fallen und
    Ruhe nie nahen will,
    Legt sich Düsterkeit auf ihre Brust;
    Und die Übrigen, nur wenige,
    Entkommen dem Kerker und begeben sich
    Erneut auf des Lebens breiten Ozean.
    Dort der Befreite wird segeln, wohin sein Herz begehrt.
    Und dann trifft ihn der Sturm; und zwischen
    Blitzschlägen ist nur
    Ein treibend’ Wrack zu sehen.
    Und der bleiche Käpten auf spantenübersätem Deck,
    Schmerzgeplagt und mit wehendem Haar,
    Packt fest das Ruder und strebt
    Immer noch nach einem unbekannten
    Hafen, einer imaginären Küste.
    Und dumpfer wird das Brüllen von
    See und Wind, und durch die Finsternis
    verschwommen erscheinen Wrack und Steuermann.
    Und dann auch er verschwindet immerdar.
    Gibt es kein Leben außer jenem?
    Irrer oder Sklave, kann der Mensch nichts andres sein?
    Irrer oder Sklave, kann der Mensch nichts andres sein? Heutzutage werden Freiheitssucher zumeist verhöhnt und als Spinner abgetan. Der kühne Abenteurer mit zerzaustem Haar und starrenden Augen kann leicht den Verstand verlieren. Tatsächlich stehen die Chancen schlecht für den Freiheitssucher. Wir könnten sagen: Du brauchst nicht wahnsinnig zu sein, um hier zu arbeiten, aber es hilft. Wir denken an Nietzsche, an Kerouac, der traurig und verbittert zu seiner Mutter zurückkehrte. Wir denken an den armen Coleridge, süchtig nach Laudanum, zurückgewiesen von seinem früheren Gefährten Wordsworth. Aus Arnolds Gedicht scheint hervorzugehen, dass jeder, der versucht, sich zu befreien, nur als Wirrkopf enden kann. O Unglück, Qual, ewige Sorge, stetes Leid!
    Es ist hilfreich zu erfahren, dass die heutigen Wahnsinnigen in mittelalterlichen Gesellschaften als normal gegolten hätten. In den frühen Tagen erteilte das Christentum dem Berufsleben eine Absage. »Das Christentum neigte dazu, alle Formen des negotium, jegliche säkulare Aktivität, zu verdammen. Andererseits förderte es ein gewisses otium, einen Müßiggang, der Vertrauen in die Vorsehung erkennen ließ«, schreibt der Mediävist Jacques Le Goff in Für ein anderes Mittelalter. Wahrlich, Müßiggänger sind gottgefälliger als Schwerarbeiter. Faule Menschen blieben untätig, weil sie darauf vertrauten, dass Gott ihnen ihr täglich Brot bescheren würde. Das Land war voll von Bettelmönchen. Im Unterschied zu den Angehörigen der elisabethanischen und der Tudorzeit waren die Menschen des Mittelalters mit Müßiggang einverstanden. Die untätigen Bettelmönche spielten in der Gesellschaft eine wichtige Rolle, denn sie boten dem Volk ein Ventil für seine Barmherzigkeit. Es war ein Paradies für Müßiggänger.
    Wer sich in seiner Karriere voranarbeitet, ist imWesentlichen unfromm, denn er besitzt genug Eitelkeit, um sein Schicksal in die eigenen Hände nehmen zu wollen. Faulheit dagegen erhebt dich in den Rang der Heiligen. »Das Misstrauen der Bauern gegenüber dem Händler und gegenüber dem verächtlichen Hochmut des Adligen fand, ideologisch betrachtet, eine Parallele und eine Rechtfertigung in den Lehren der Kirche«, schreibt der Historiker Aron Ja Gorevich in einem Essay über den mittelalterlichen Kaufmann. Karriere ist also eine protestantische Erfindung und ein Lebensideal, das in der fatalistischen katholischen Gesellschaft des Mittelalters undenkbar gewesen wäre. Damals drehte sich das Leben darum, kreativ zu sein und unterschiedlichste Dinge zu tun. Gott war kreativ, und deshalb sollte auch die Arbeit kreativ sein. Folglich waren Gärtnern, Brotbacken und Bierbrauen die frühesten Formen der Arbeit, die die Kirche billigte. Und als sich das Leben, bevor das elektrische Licht erfunden wurde und alles langweilig machte, noch an den Jahreszeiten orientierte, war es reich und vielfältig.
    Von einem taoistischen oder existenzialistischen Standpunkt aus ist Karriere eine absolute

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