Die Kunst, frei zu sein
Zugleich verurteilt diese Bezeichnung die behagliche Gleichgültigkeit der Bürger, die sich als Klienten dieser Experten einer vielgestaltigen Sklaverei unterwerfen.
»Entmündigende Expertenherrschaft« ist ein eindrucksvoller Begriff. Wer sich dem Professionalismus eines anderen unterwirft, räumt ein, auf einem bestimmten Gebiet Schwächen zu haben. Deshalb können wir keiner äußeren Autorität an unserem Mangel an Freiheit die Schuld geben, denn wir haben die Macht über uns selbst abgetreten, oder, mit Illichs Worten, wir haben uns »unterworfen«.
Es ist sehr deprimierend, dass sich auch Frauen für den Karrieremythos begeistern. »Mein Beruf ist mir wirklich wichtig«, sagen die solipsistischen neuen Karrieredamen. Es geht über meinen Horizont, wie es wichtiger sein kann, eine kleine Gruppe von Idioten bei Asda herumzukommandieren, als mit seinen Kindern zu spielen, Zeit mit Freunden und Familienangehörigen zu verbringen oder zu Hause schöpferische Dinge zu tun. In den vergangenen hundert Jahren haben Frauen Karriere mit Befreiung gleichgesetzt. Um der vermeintlichen Langeweile, Tyrannei und Machtlosigkeit des häuslichen Lebens zu entgehen – all das war in viktorianischen Zeiten gewiss Realität –, bemühen sie sich um Arbeit, die ihnen Geld und Erfüllung liefern soll. So lautet die Verheißung, doch wie sieht die Realität aus? G. K. Chesterton meinte witzig: »Ich kenne Frauen, die nicht bereit sind, sich etwas diktieren zu lassen, und dann nehmen sie eine Stelle als Stenografin an.« Ich will nicht darauf hinaus, dass sich Frauen nicht der häuslichen Unterdrückung entziehen und nach Freiheit, Autonomie, kreativer Erfüllung, finanzieller Unabhängigkeit und so weiter streben sollten, sondern ich bin der Meinung, dass diese Dinge wahrscheinlich nicht in konventionellen Ganztagsbeschäftigungen und -karrieren zu finden sind. Vielmehr ist es besser, sich seinen eigenen Beruf zu schaffen.
In einer kürzlich erschienenen Ausgabe des Idler brachten wir einen Artikel der bekannten Rundfunk- und Fernsehjournalistin Joan Bakewell. Sie schrieb, sie habe schon früh in ihrem Arbeitsleben die bewusste Entscheidung getroffen, auf eine Karriere zu verzichten. Sie hatte kein Interesse daran, zur Gefangenen zu werden, indem sie die Karriereleiter der BBC emporstieg. Vielmehr fand sie eine Tätigkeit, die ihr gefiel, und blieb ganz einfach dabei. Im Bereich ihrer Wahl galt die Vorstellung vom endlosen, unbegrenzten Aufstieg nicht. Aufstieg ist ein Tyrann. Sich vom Karrieremodell der Arbeit zu lösen bedeutet, sich von den Erwartungen anderer zu befreien. Karriere ist einWeg, den Autoritätspersonen für dich festlegen, während wirklich freie Menschen ihren eigenen Weg durch den Wald finden.
In The Uses of Literacy (1957) merkt Richard Hoggart an, dass Angehörige der Arbeiterschaft häufig gar nicht an Ehrgeiz, Wettbewerb und Beförderung denken (oder jedenfalls war das in den Fünfzigern nicht der Fall):
Wenn sie einmal arbeiten, denken die meisten nicht an eine Karriere oder an die Möglichkeit einer Beförderung. Die Arbeitsplätze sind horizontal, nicht vertikal verteilt; deswegen wird das Leben nicht als Klettertour und die Arbeit nicht als sein Hauptfaktor empfunden. Zwar hat man immer noch Respekt vor einem guten Handwerker, aber der Mann an der benachbarten Werkbank wird nicht als tatsächlicher oder potenzieller Konkurrent gesehen … »Übereifrige« ernten Misstrauen.
Wir werden von der Vorstellung beherrscht, dass es sich nur dann lohne, etwas zu tun, wenn sich damit Geld verdienen lässt oder wenn es zu Anerkennung führt. Mütter haben das Gefühl, dass ihr Leben durch Kinderbetreuung und Schinderei im Haushalt vergeudet wird und dass ein Dasein als Hausfrau und Mutter nicht sonderlich geachtet wird. Nur wer einen Arbeitsplatz hat, ist jemand.
Dabei lässt sich eine Karriere mit nobler Sklaverei vergleichen. Sie ist eine institutionalisierte Verzögerung, ein aufgeschobenes Paradies. Der abstrakte Karrieregedanke ist für uns ein geistiger Maßstab. Manchmal schreiten wir auf dem Karrierepfad, zu dessen Betreten wir uns selbst gezwungen haben, gut voran; manchmal sieht es schlecht aus, und die Karriere anderer scheint sich besser zu entwickeln. Wir benutzen die Karriere als Stock, mit dem wir uns selbst züchtigen. Und stets richten wir die Augen auf die nächste Stufe der Leiter.
Was ist die Alternative? Können wir es allein schaffen? Zu unserem eigenen Chef werden? Der düstere
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