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Die Kunst, frei zu sein

Die Kunst, frei zu sein

Titel: Die Kunst, frei zu sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hodgkinson
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seiner selbst willen – zum Mittelpunkt unseres Lebens machen, dann folgt das Geld von ganz allein. Wie Max Weber in Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus schreibt, vertrat die katholische Kirche im Mittelalter gegenüber der Arbeit folgende Auffassung: »Ein jeder bleibe bei seiner ›Nahrung‹ und lasse die Gottlosen nach Gewinn streben.«
    Der Beruf orientiert sich an der Gemeinschaft und verleiht Erfahrung, während die Karriere einer egoistischen, ehrgeizigen Arbeitsauffassung entspringt. Die Berufskurve ist stetig und flach, die Karriere dagegen bildet eine nach oben, in die Unendlichkeit weisende Kurve. Wenn wir die Arbeit als Berufung empfinden, können wir kontinuierlich und zufrieden tätig sein.
    Ein wunderbar positives Verständnis von der menschlichen Arbeit hat mir der Künstler Joe Rush vermittelt. In den achtziger Jahren gehörte Joe zu den Gründern einer aufsässigen Künstlergruppe namens Mutoid Waste Company, deren Angehörige fantastische Skulpturen aus herumliegendem Altmetall schufen. Zum Beispiel verwandelten sie ein zerbeultes Auto in etwas Wunderbares: in ein Rieseninsekt oder einen Dinosaurier, einen Schädel oder einen Vogel. Sie führten das Leben von Bettelmönchen, reisten in ganz Europa zu Festspielen und wohnten in besetzten Häusern. Ihre einfache Botschaft lautete: »Sei kreativ.« Joe war der Meinung, dass wir alle mit einer Begabung auf die Welt kämen, die wir entdecken und dann erforschen müssten. »Du bist begabt«, sagte er. »Es ist ein persönliches Geschenk … und wenn jemand eifersüchtig darauf ist, dann nur deshalb, weil er nicht nach seiner eigenen Begabung Ausschau gehalten hat.«
    Und wie findet man seine Berufung, seine Begabung? Die Antwort lautet: indem man so lange wie möglich nichts tut. So wie kluge Gärtner raten, dass man nach der Übernahme eines Gartens ein Jahr lang nichts tun sollte, um herauszufinden, was dort wächst, um dann erst seinen eigenen einzigartigen, nützlichen und schönen Garten zu entwerfen, würde ich empfehlen, dass du dir ein paar Monate oder, falls du die Möglichkeit dazu hast, vielleicht sogar ein Jahr freinimmst. Meistens sind wir zu beschäftigt, um zu ergründen, was wir wirklich tun möchten. Nimm dir etwas Zeit, und die Dinge werden allmählich klarer. Hör vor allem auf, dir Mühe zu geben. Eine Karriere verlangt höchsten Einsatz, doch freie Geister hören auf, sich abzumühen, und warten stattdessen ab, wie sich die Dinge entwickeln.
    FINDE DEINE BEGABUNG

5
    Raus aus der Stadt
    Denn ich wuchs auf
In großer Stadt, eingepfercht zwischen trüben Gängen,
Und sah nichts Schönes außer Himmel und Sternen.
Coleridge, »Frost at Midnight«, 1797
    Die Flucht aus der Stadt ist ein seit langem gehegter romantischer Traum. Von Virgils Idyllen über die Dichter der Romantik bis hin zu heutigen Pop- und Folksongs wird deutlich, dass wir alle uns nach Frieden sehnen und versuchen, in den Garten der Liebe zurückzukehren. Diese pastorale Vision findet man zum Beispiel in den Songs von Peter Doherty mit ihren Anspielungen auf Albion und Arkadien und das Hirtenlied. Mit guten Freunden, gutem Essen und in einer schönen Umgebung, der Eile und dem Tumult der Hauptstadt entrückt, weit entfernt von U-Bahnen, Vorortzügen, Bomben und Reklame, könnten wir glücklich sein. Die revolutionäre Gedichtsammlung von Wordsworth und Coleridge, Lyrical Ballads (1798), war das Ergebnis einer ländlichen Klausur. Coleridge hatte sich nach Nether Stowey in den Quantocks in Westengland zurückgezogen, während Wordsworth und Dorothy im nahe gelegenen Alfoxden House Unterschlupf gefunden hatten. Dort schloss sich ihnen kurzfristig der radikale John Thelwall an. Sie alle wurden von den Ortsbewohnern sehr misstrauisch beobachtet – und auch von der Regierung, die eigens einen Spitzel (später von Coleridge in Biographia Literaria [1817] »Naseweiser Spion« getauft) zu ihrer Beobachtung entsandte. Thelwall beschrieb diese Monate in seinen »Lines Written at Bridgwater« (1797) folgendermaßen:
    Ah, lass mich weit im abgeschiednen Tal
    Bauen mein niedrig Bett; und glücklich mag’s sein,
    Mein Samuel! Nah dem deinen, damit wir oft
    Süße Gespräche tauschen können, geliebtester Freund!
    Lang geliebt, bevor bekannt, denn gleiche Gefühle
    Verbanden trotz der Ferne unsere verwandten Seelen …
    Und hold wär’s,
    Nach getaner Arbeit und literarischer Müh,
    Abwechselnd in des andren Laube
    In milder Sommerzeit zu sitzen,
    Oder, wenn

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