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Die Kunst, frei zu sein

Die Kunst, frei zu sein

Titel: Die Kunst, frei zu sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hodgkinson
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sich abgemüht, um ihr all diese Maschinen kaufen zu können und ihr das Leben zu erleichtern. Deshalb wäre es kleinlich, sich zu beklagen. Aber etwas daran stimmt nicht. Dieser Gedanke kam mir vor einiger Zeit bei einem Besuch in Mexiko. Jede Woche trugen Frauen unweit unserer Unterkunft ihre Wäsche zum Fluss und verbrachten zwei Stunden damit, sie gemeinsam zu waschen, während ihre Kinder in Gummibooten spielten. Das erschien mir viel unterhaltsamer, als eine Maschine anzustellen und später feuchte Wäsche in Körbe und andere Maschinen zu wuchten – und all das ohne Gesellschaft. Langweilige Arbeit ist stets viel weniger langweilig, wenn man sie sich mit anderen teilt.
    Neulich saßen wir in unserem Untergeschoss im Idler- Büro und verbrachten fünf Stunden damit, die Abonnementexemplare an unsere Leser zu verschicken. Wir tüteten sie ein, leckten Briefmarken und brachten die vollen Säcke zur Post. Da wir zu viert arbeiteten, plauderten wir pausenlos und erlebten einen sehr angenehmen Tag. Außerdem wurde die Sache recht schnell erledigt. Früher hatten wir immer einen armen Handlanger für drei Tage einsamer Arbeit bezahlt. Jetzt wurden wir viel schneller fertig, und das Ganze war billiger und erfreulicher. Die einzige Schranke für diese Arbeitsweise hatte ich selbst aufgebaut, weil ich als Herausgeber der Zeitschrift meinte, über das Versenden von Umschlägen erhaben zu sein. Nun habe ich beschlossen, den Arbeitsgang als Unterhaltung zu betrachten. Niedrige Arbeit kann ein Vergnügen sein, denn wie eine alte chinesische Weisheit besagt: Wenn du Erleuchtung suchst, dann hacke Holz und trage Wasser.
    Es ist besser, die Dinge selbst zu erledigen. D. H. Lawrence argumentiert in seinem Essay »Education of the People« überzeugend gegen die Beschäftigung von Putzfrauen und anderen Helfern, wenn man frei sein will. Für Lawrence stand Freiheit von Dienern für Freiheit von Knechtschaft. In der folgenden Passage finden wir die gleiche Schwärmerei wie bei Coleridge, der in einem Brief an Robert Southey von seiner Dichtergemeinde »an den Ufern des Susquehanna« träumte und verhieß: »Wir werden keine Diener haben!« Der Verzicht auf Diener bedeute mehr, nicht weniger Freiheit. Lawrence fährt fort:
    Niemand ist frei, der von Dienern abhängt. Der Mensch kann nie ganz frei sein. Das will er auch gar nicht. Aber in seinem persönlichen Umfeld kann er weitaus freier sein, als er es ist. Wie? Indem er Dinge selbst übernimmt. Sobald wir unseren persönlichen Stolz geweckt haben, bereitet es uns Vergnügen, unsere eigenen Dienste zu verrichten: Jeder fegt sein eigenes Zimmer, macht sein eigenes Bett, wäscht sein eigenes Geschirr – oder er übernimmt, wie ein Soldat, einen Anteil von allem. Wir haben eine fälschliche Vorstellung von uns selbst, denn wir sehen uns als ideale Geschöpfe. In Wirklichkeit sind wir lebhafte physische Wesen, deren Dasein aus Bewegung und Handlung besteht. Wir haben zwei Füße, die gepflegt werden müssen, und wir brauchen Socken und Schuhe. Das ist unsere persönliche Angelegenheit, und es ist angemessen, die Umstände zu begreifen. Ich will mich meiner Socken und Schuhe annehmen, denn sie sind meine persönlichen Sachen.
    Lasst uns Alleskönner werden. Jeder Mann, jede Frau und jedes Kind sollten fähig sein, zu kochen, das Haus zu reinigen und einen Stecker auszutauschen. Wir sind in der Gefahr, eine nutzlose Welt der Computerspieler zu schaffen. Freiheit liegt in der Selbstversorgung, sagt Lawrence:
    Eigenständigkeit ist Unabhängigkeit. Um frei zu sein, muss man selbstgenügsam sein, besonders in kleinen, materiellen, persönlichen Angelegenheiten. Im großen Rahmen der Liebe oder Freundschaft oder des menschlichen Umgangs trifft man sich und kommuniziert mit anderen freien Individuen; es gibt keine Dienstleistung. Dienstleistungen sind entwürdigend, sowohl für den Diener als auch für den Bedienten: eine Promiskuität, eine Art Prostitution. Niemand sollte für mich tun, was ich billigerweise für mich selbst tun könnte.
    Wenn wir das Heer unserer Diener entlassen haben, ergibt sich als Nächstes die Frage, wie wir auf eine Weise sauber machen können, die wir nicht als niederdrückend empfinden. Wir neigen dazu, die Rolle des Bediensteten zu verinnerlichen. Deshalb spalten wir uns in den verbitterten viktorianischen Diener und den tyrannischen viktorianischen Gebieter. Der innere Gebieter befiehlt dem inneren Diener: »Nun mach schon, wasch das Geschirr ab! Reiß dich

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