Die Kunst, frei zu sein
Hills, wurde nicht durch Schuldgefühle geplagt und empfand nie eine Verpflichtung anderen gegenüber. Das bedeutete jedoch nicht, dass er sich unmoralisch oder rücksichtslos benommen hätte. Im Gegenteil, er tat sehr viel Gutes (nicht durch Einmischung, sondern dadurch, dass er gute Dinge bewirkte). Er kümmerte sich um Gescheiterte – um Leute, die irgendwo vom Weg abgekommen waren –, doch er sprach nie von ihnen, und seine Freunde entdeckten erst nach seinem Tod, was er auf sich genommen hatte. Auch der unbekümmerte, vergnügungssüchtige Schauspieler Keith Allen ist frei von Schuldbewusstsein; er tut, was er will, und hat deshalb nie unter Verbitterung zu leiden gehabt.
Weit davon entfernt, verantwortungslos zu sein, stehen Gavin und Keith für eine radikale Verantwortlichkeit, denn sie lehnen Schuldbewusstsein ab, das ja in gewissem Sinne als faule Ausrede dient. Die völlige Ablehnung von Schuldgefühlen hat etwas wunderbar Heroisches und Befreiendes an sich. Wie Hazlitt über den großen Freigeist und Dichter John Wilmot, den Earl of Rochester, schrieb: »Seine Verachtung für alles, was andere respektieren, lässt sich fast als sublim bezeichnen.« Wilmot akzeptierte überkommene Weisheiten und die bürgerliche Realität einfach nicht. Das Gleiche könnten wir über den heutigen Libertin Peter Doherty sagen: Seine völlige Missachtung der konventionellen Moral und des gebräuchlichen Verhaltens ist geradezu spektakulär und beeindruckend.
Diese Art des Lebens ohne Gewissensbisse hat eine lange Tradition. Im antiken Rom und im antiken Griechenland gab es zahlreiche Beispiele dafür. Denken wir auch an die merkwürdigen Ketzersekten Europas, die gegen Schuldgefühle und ein reines Gewissen rebellierten, weil sie diese nicht als angeborene Impulse, sondern als Kontrollinstrumente betrachteten. Das galt etwa für die Sufis, wie Norman Cohn in Die Sehnsucht nach dem Millennium: Apokalyptiker, Chiliasten und Propheten im Mittelalter (1957) schrieb:
Gegen Ende des zwölften Jahrhunderts sind für verschiedene spanische Städte, und insbesondere für Sevilla, Aktivitäten von mystischen Bruderschaften der Moslems bezeugt. Diese Leute, bekannt als Sufis, waren heilige Bettler, die in Gruppen Straßen und Plätze bevölkerten und geflickte bunte Gewänder trugen. Die Novizen mussten sich in Bescheidenheit und Selbstverleugnung üben, sich in Lumpen kleiden, ihre Augen auf den Boden richten, widerliche Nahrung essen und dem Meister der Gruppe blinden Gehorsam schwören. Doch nach der Entlassung aus dem Noviziat eröffnete sich für die Sufis ein Raum totaler Freiheit. Bücherwissen und theologische Spitzfindigkeiten ablehnend, wussten sie sich im Besitz einer unmittelbaren Gotteserfahrung. Mit dem Göttlichen in einer überaus intimen Einheit verbunden, wurden die Sufis von allen Bindungen befreit. Jede Eingebung verstand man als göttlichen Befehl; nach dem Noviziat konnten sie sich mit weltlichen Besitztümern umgeben und im Luxus leben, sie konnten ohne Gewissensqualen lügen, stehlen oder sich der Unzucht hingeben. Äußere Handlungen waren ohne Bedeutung, da die Seele innerlich vollkommen von Gott erfüllt war.
Eine wunderbare Philosophie, die ihren Anhängern erlaubt, sinnlichen Freuden nachzugehen, ohne von ihnen belastet zu werden.
Schuldbewusstsein kann als vom Geist geschmiedete Fessel gesehen werden, denn in der Regel verhindert es unberechenbares Benehmen. Folglich dient es der Obrigkeit, nicht der Freiheit. Es ist der Chef im Innern. Schuldgefühle bewirken auch, dass man die Gegenwart meidet, denn sie drücken ein Bedauern über vergangene Handlungen aus, was den Vorsatz stärkt, sich in Zukunft besser zu benehmen. Regierungen begründen ihre Existenz genau damit: Ohne sie, so behaupten sie, würden wir unseren Instinkten freien Lauf lassen, und die Welt würde in einen Strudel aus Anarchie, Blutvergießen und Plünderei geraten. Schuldbewusstsein ist also eine Art »Regierung des Geistes«, wie der Drehbuchautor Bruce Robinson es ausdrückte.
Die Antwort? Schraube deine Maßstäbe zurück! Lass es ruhig angehen! Begrüße die Fröhlichkeit! Akzeptiere die Unordnung! Eines der vielen problematischen Vermächtnisse des Puritanismus ist die Idee der Vollkommenheit. Die Katholiken mit ihrer Korruption und ihren lockeren Sitten waren wenigstens nachsichtig sich selbst gegenüber. Der Puritaner dagegen setzt sich unerreichbar hohe Verhaltensnormen und macht sich dann endlose Vorwürfe, wenn er ihnen
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