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Die Kunst, frei zu sein

Die Kunst, frei zu sein

Titel: Die Kunst, frei zu sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hodgkinson
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und warum sehen alle vorstädtischen Gärten gleich aus? Hier ist die imposante Violet Purton Biddle mit einer Passage aus ihrem 1911 erschienenen Buch Small Gardens and How to Make the Most of Them. Man ersetze »Laiengärtner« durch »Mensch« und »Garten« durch »Leben«, und Mrs. Biddles Worte werden sehr weise klingen:
    »Sei originell!« ist ein Motto, an das sich jeder Laiengärtner halten sollte. Der durchschnittliche Gartenbesitzer führt viel zu wenig Experimente durch. Er trottet immer wieder auf den gleichen Spuren dahin, ohne einen Gedanken an die herrlichen Möglichkeiten, die er verpasst, aufzuwenden. Jeder Garten, wie klein er auch sein mag, sollte Individualität aufweisen – ein Merkmal, durch das er sich von der Allgemeinheit abhebt.
    Wie im Garten, so ist es auch im Leben: Wir fürchten Experimente. Übrigens ist das Wort »Experiment« sehr nützlich. Bei bestimmten Dingen kannst du einfach von einem Experiment sprechen. »Haben die Beatles Drogen genommen?«, fragte ich meine Eltern als Kind häufig. »Tja«, erwiderten sie, »die Beatles haben mit Drogen experimentiert.« Aber abgesehen von dem Nutzen des Wortes als Euphemismus macht es Spaß, sein Leben in eine Reihe von Experimenten zu verwandeln. Es kommt nicht darauf an, ob eines scheitert – du versuchst einfach ein anderes. Als wir aufs Land zogen, planten wir, nur ein paar Monate zu bleiben. Es war ein »Experiment«. Nun sind wir bereits vier Jahre hier und experimentieren immer noch. In einer Welt, in der man dauernd aufgefordert wird, sich zu »engagieren«, ist es befreiend, sich die Genehmigung zum Dilettantismus zu erteilen. Engagiere dich für nichts. Versuch alles.
    Beim Gartenbau erledigt man ebenso wie bei der Hausarbeit am besten so viel wie möglich selbst. Das fällt uns leicht, denn wir haben einen recht kleinen Garten. Aber sogar der erscheint uns manchmal als Belastung. Dabei hat das Leben keine angenehmere, nützlichere und befriedigendere Tätigkeit zu bieten, als sich über Blumen und andere Pflanzen sowie über den Boden kundig zu machen, sie zu pflegen, Gemüse anzubauen und es zu essen. Als junger Mann hatte ich kein Verständnis für die Gärtnerei, da ich mich nur für das Trinken interessierte. Heute jedoch begreife ich, dass all jene Damen und Herren mittleren und höheren Alters in ihrem Garten eine Menge Spaß hatten, während ich sie nur für langweilig hielt. Mein Leben hat sich enorm verbessert, denn nun bin ich an der Gärtnerei und am Trinken interessiert: zwei Freuden statt früher nur einer. Die beiden passen sehr gut zusammen, denn nichts ist so schön wie ein gutes Bier nach zwei Stunden des Umgrabens, und nichts ist hilfreicher als zwei Stunden des Umgrabens nach einer durchzechten Nacht. Ein Idler -Leser schrieb uns sogar, er lege sich absichtlich einen Kater nach dem anderen zu, weil es ein solcher Genuss sei, ihn morgens durch Gartenarbeit wieder loszuwerden.
    Das bourgeoise Lebensmodell, das sich auf »Hilfskräfte« stützt, wie Bedienstete euphemistisch genannt werden, ist defekt. Man braucht keine bezahlte, sondern unbezahlte Hilfe. Im Jahr 1900 wohnten fünfzehn Personen in dem entlegenen Bauernhaus, in das wir eingezogen sind. Das damalige Ehepaar hatte zehn Kinder, und häufig gab es »Männer im Haus«, die bei der Familie Kost und Logis erhielten, bevor sie eine eigene Familie gründeten. Offensichtlich wurden die Diener in vielen Haushalten des achtzehnten Jahrhunderts gut behandelt, und beide Seiten respektierten einander. Zum Beispiel wohnten fünf oder sechs Personen in dem Haus von Dr. Johnson in Gough Court. Sie waren nicht unbedingt Bedienstete, aber sie teilten sich die anfallende Arbeit. Sein »Diener« Francis Barber, dessen berühmtes Porträt von Joshua Reynolds bis heute in Johnsons Haus hängt, ließ sich einmal von der Marine anheuern, und Johnson kaufte ihn frei. Beim Tod ihres Herrn erbten Diener häufig eine Jahresrente.
    William Cobbett schreibt in Rural Rides über den Verlust des früheren gegenseitigen Respekts zwischen Herr und Diener und erläutert, dass Landarbeiter einst gut versorgt gewesen seien und bei den Mahlzeiten mit dem Gutsherrn an einem Tisch gesessen hätten. Die viktorianische Einrichtung isolierter Dienstbotenquartiere im unteren Stockwerk existierte noch nicht. Sklaven waren sogar in der Antike Teil der Familie und hatten die Möglichkeit, ihre Freiheit zu erwerben. Vor dem Ersten Weltkrieg lebten 128 Personen auf und von dem Gut St. Germans in

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