Die Kunst, frei zu sein
während die Ikea-Möbel dauernd abgewischt werden müssen. Bettwäsche hat makellos zu sein. Es ist, als gäben wir vor, in einem viktorianischen Herrenhaus mit neun Dienern zu wohnen; doch wir müssen die Arbeit ganz allein erledigen. Kein Wunder, dass jede Frau und die meisten Männer nach der Hausarbeit fix und fertig sind. Diese enorme Arbeitslast frisst Zeit auf, in der man nutzbringender aus dem Fenster gucken oder die Erde zwischen den Kohlköpfen auflockern könnte.
Ebenfalls in der viktorianischen Epoche wurde die grässliche Glühbirne erfunden, die ihr mitleidsloses Gleißen auf unseren Schmutz und unsere Unordnung richtet. In der georgianischen Ära, als alles mit Kerzen beleuchtet wurde, muss die Situation ganz anders gewesen sein. Wir hätten den Staub nicht gesehen und nicht so ausgiebig sauber machen müssen. Weiße Kleidung war weniger beliebt, weshalb die Wäsche nicht so oft gewaschen wurde. Frische, nach Lavendel riechende Laken, die man jeden Tag wechselte, waren ebenfalls eine viktorianische Erfindung, die erkennen ließ, wie reich jemand war, weil er sich ein vielköpfiges Personal für das Wäschewaschen leisten konnte. Das Gleiche gilt für die weiten Flächen getrimmten Rasens. Diese Zonen flacher Grünheit existierten vor dem achtzehnten Jahrhundert nicht, genauso wenig wie Tennisplätze und Krocketrasen. Alles war ein bisschen gröber, was weniger Arbeit bedeutete.
Letzten Endes könnte das Reinemachen einfach eine Beleuchtungsfrage sein. Wer ein saubereres Haus haben möchte, sollte einfach die Lichter ausknipsen und eine Kerze anzünden. Elektrisches Licht ist der Feind. Wir müssen den kalten, harschen Scheinwerfer des edisonschen Rationalismus ablehnen und zum warmen, flackernden, schönen, mitleidigen, irrationalen Licht der Kerze zurückkehren. Im Kerzenlicht brauchen die Dinge nicht so makellos zu sein. Die Verpflichtung auf allgemeine Maßstäbe, an die wir uns halten müssten, ist tyrannisch. Setz deine eigenen Maßstäbe. Tu, was dir gefällt. Hab deine eigenen Interessen im Auge.
Wir müssen auch unsere Sprache in diesem Bereich ändern. Ich schlage vor, »Hausarbeit« fortan »Hauspflege« zu nennen. Das bedeutet, dass du dich freiwillig um dein Haus kümmerst, statt aus Pflichtgefühl gegenüber einer abstrakten Obrigkeit, die dir mit dem Finger droht.
Ich beende dieses Kapitel mit einem Idler-Sprichwort: Statt dich über die Unordnung zu beschweren, zünde eine Kerze an. Dann siehst du sie nicht.
ZÜNDE EINE KERZE AN
* »Wie sauber ist dein Haus?« In der Bundesrepublik heißt die entsprechende Sendung »Die Putzteufel – Deutschland macht sauber« (Anm. d.Übers.)
15
Schluss mit der Einsamkeit
Die Gesellschaft hat getrennt die Menschen,
Das allgemeine Herz vergessend.
Wordsworth, Präludium, 1850
Eine der schrecklichsten Folgen der Reformation und dann der protestantischen Revolution war der Beginn einer umfassenden Einsamkeit. Die Theologie der mittelalterlichen katholischen Kirche hatte eine kollektive Lebensweise gefördert: Wenn das, was du tust, der gesamten Gesellschaft nützt, dann wirkst du für Gott und für deine eigene Erlösung. Daher die Betonung von Barmherzigkeit und Gastfreundschaft. Wie in primitiven Gesellschaften wurde es missbilligt, wenn man einen hungrigen Wanderer nicht einließ. Mönche und Nonnen eröffneten »Hospitäler«, die Gastfreundschaft (hospitalitas), das heißt Bier und Brot und eine Schlafmöglichkeit, anboten.
Die Menschen des Mittelalters sehnten sich wie die Dichter der Antike nach einem längst vergangenen goldenen Zeitalter, über das Gnaeus Pompeius Trogus schrieb: »Niemand war Sklave, und niemand hatte Privateigentum; alle Dinge waren Gemeinbesitz und nicht voneinander getrennt, als gebe es nur ein einziges Erbe für alle Menschen.« Deshalb führte man Bräuche ein, die den Gemeinschaftssinn wiedererschaffen sollten. Es war die Ära der Nächstenliebe und der Brüderlichkeit. Solche Ideen wirken heute revolutionär. Der moderne, angeblich vernünftige Mythos »Auf dieser Welt bist du auf dich allein gestellt« war unbekannt. Doch mittlerweile ist die Nächstenliebe durch die Maxime »Dein Konsum darf nicht hinter dem deiner Nachbarn zurückstehen« und Brüderlichkeit durch Neid abgelöst worden.
Die mittelalterlichen Gebäude waren das Ergebnis gewaltiger kollektiver und kreativer Bemühungen der verschiedenen städtischen Gilden: »… ein mittelalterliches Bauwerk erscheint nicht wie eine einsame Leistung, wo
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