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Die Kunst, frei zu sein

Die Kunst, frei zu sein

Titel: Die Kunst, frei zu sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hodgkinson
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Schichtarbeit führt. Trotzdem werden Maschinen und Technik noch immer mit dem gleichen Versprechen verkauft. Aber wenn wir versuchen, der Schmutzarbeit auf diese Art zu entgehen, verurteilen wir uns zu noch mehr Schinderei. Gegen Oscar Wildes recht lächerlichen Abscheu davor, »Schmutz zu entfernen«, wende ich ein, dass ich jeden Tag im Garten Schmutz entferne, und das ist sehr unterhaltsam.
    In alten Zeiten gingen Jack und Jill einfach den Berg hinauf, um einen Eimer Wasser zu holen. Dazu machten sie, wie wir uns vorstellen können, einen angenehmen Spaziergang durch die üppige Natur und führten unterwegs vielleicht ein Gespräch. Heute dreht Jill den Hahn auf, und Jack geht zur Arbeit, um das Geld für Hähne, Schlosser, Wasserabgaben und die Instandhaltung eines enorm komplizierten Systems aus Tanks, Pumpen und Rohren zu verdienen. Oder sie kaufen im Supermarkt Wasser, das in achthundert Kilometer Entfernung abgefüllt, dann zu Lagerhäusern transportiert und mit gigantischen, Benzin saufenden Lastwagen durch das Land zu gewaltigen Einzelhandelszentren und zombiehaften Angestellten und Kunden gekarrt wurde. Wasser wird heute also unter viel mehr Mühe, Schweiß, Kosten, Langeweile und Schmerz erlangt, wenn man den Aufwand aller Beteiligten zusammenrechnet, als früher aus Brunnen. Außerdem lässt sich nicht leugnen, dass mit Brunnen viel weniger schiefgehen kann. Ein Brunnen ist effektiver als moderne Wasserwerke.
    Die Maschinen sind nicht unsere Sklaven, sondern im Gegenteil, wir werden von ihnen versklavt. Am Arbeitsplatz lassen sie uns untüchtig wirken. Sie melden sich nicht krank, sie bitten um keine Lohnerhöhung, sie streiken nicht, sie machen keine Kaffee- oder Mittagspausen, sie haben keine Depressionen, sie trennen sich nicht von ihren Freunden oder Freundinnen, sie weinen nicht in der Toilette, sie schlafen nicht einmal. Deshalb gibt sich der Industrielle, der Arbeitgeber, alle Mühe, die Menschen den Maschinen anzupassen. Maschinen werden als Vorbild hochgehalten. Der Vorwurf »unprofessionell« bedeutet: »Heute hast du dich nicht wie eine Maschine benommen.«
    Alle Call-Center-Chefs müssen sich auf den Tag freuen, an dem ein Computer die Anrufe übernimmt und an dem die Geschäftsführer sich nicht mehr mit lästigen Personen herumärgern müssen, die sich betrinken, sich erkälten und ab und zu einen eigenen Gedanken haben. »Das Wesen, der große Charme der Fabrik«, schrieb Eric Gill in »Painting and the Public« (1933), »besteht darin, dass man keine Arbeiter benötigt, die dem Design und der Herstellung von Rasierklingen ihren freien Willen, ihre Eigenarten, ihre Emotionen und ihren Geschmack aufzwingen wollen.« Außerdem können die Maschinen lebendiger erscheinen als die sie bedienenden roboterhaften Menschen. E. F. Schumacher zitiert in Das Ende unserer Epoche folgenden entsetzlichen Gedanken aus dem Brief eines britischen Arbeiters in den Siebzigern: »Maschinen sind in dem Maße zu Menschen geworden, wie Menschen zu Maschinen geworden sind. Sie pulsieren vor Leben, während sich der Mensch einem Roboter annähert.«
    Unter dem Banner der Befreiung dringen Maschinen nun sogar in unser Privatleben ein. Im neunzehnten Jahrhundert besaß man die Dampfkraft; heute haben wir die Digitaltechnik mit all ihren leeren Versprechungen. Nehmen wir zum Beispiel eines der unsäglichen neuen Geräte namens Blackberry. Abgesehen von dem Verbrechen, dass hier aus Profitgründen – wie durch zwei andere Hersteller von Digitaltechnologie, Apple und Orange – der Name einer köstlichen Frucht missbraucht wird, gibt es noch einen anderen Grund, die »Brombeere« zu fürchten, zu meiden und zu ächten: Sie lässt zu, dass sich die Sklavenarbeit noch weiter in unser Alltagsleben vorschiebt. Blackberrys können E-Mails von überall senden und an jedem Ort empfangen. Folglich hast du die Möglichkeit, das Gerät an den Strand oder in die Kneipe mittzunehmen und dort weiterzuarbeiten. Der Chef kann einen Bericht von dir verlangen, wenn du drei Bier intus hast, und deinen Abend dadurch ruinieren. Wahrhaft erstaunlich ist, dass wir diese elektronische Fußfessel aus eigener Tasche berappen. Um die Gewinne eines anderen zu steigern, lassen wir uns in unseren wenigen Augenblicken der Muße von einem wichtigtuerischen Esel am anderen Ende der Stadt, nein, der Welt stören. Laptops und Mobiltelefone haben träumerischen Eisenbahnfahrten bereits ein Ende gesetzt, und nun kann man sogar den Spaziergang zum

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